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Das Leben in Christus

von Pfarrer Thomas Gruber.

Ein Mann war krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf der Maria und ihrer Schwester Marta. Maria war jene, die den Herrn mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren abgetrocknet hatte; deren Bruder Lazarus war krank.

Daher sandten die Schwestern Jesus die Nachricht:
Herr, sieh: Der, den du liebst, er ist krank.

Als Jesus das hörte, sagte er:
Diese Krankheit führt nicht zum Tod, sondern dient der Verherrlichung Gottes. Durch sie soll der Sohn Gottes verherrlicht werden.

Jesus liebte aber Marta, ihre Schwester und Lazarus. Als er hörte, dass Lazarus krank war, blieb er noch zwei Tage an dem Ort, wo er sich aufhielt.

Danach sagte er zu den Jüngern:
Lasst uns wieder nach Judäa gehen.

Die Jünger sagten zu ihm:
Rabbi, eben noch suchten dich die Juden zu steinigen und du gehst wieder dorthin?

Jesus antwortete:
Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht umhergeht, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist.

So sprach er. Dann sagte er zu ihnen:
Lazarus, unser Freund, schläft; aber ich gehe hin, um ihn aufzuwecken.

Da sagten die Jünger zu ihm:
Herr, wenn er schläft, dann wird er gesund werden.

Jesus hatte aber von seinem Tod gesprochen, während sie meinten, er spreche von dem gewöhnlichen Schlaf.

Darauf sagte ihnen Jesus unverhüllt:
Lazarus ist gestorben. Und ich freue mich für euch, dass ich nicht dort war; denn ich will, dass ihr glaubt. Doch wir wollen zu ihm gehen.

Da sagte Thomas, genannt Didymus, zu den anderen Jüngern:
Lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben!

Als Jesus ankam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grab liegen. Betanien war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt. Viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, um sie wegen ihres Bruders zu trösten. Als Marta hörte, dass Jesus komme, ging sie ihm entgegen, Maria aber blieb im Haus sitzen.

Marta sagte zu Jesus:
Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben.

Jesus sagte zu ihr:
Dein Bruder wird auferstehen.

Marta sagte zu ihm:
Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tag.

Jesus sagte zu ihr:
Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?

Marta sagte zu ihm:
Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.

Nach diesen Worten ging sie weg, rief heimlich ihre Schwester Maria und sagte zu ihr:
Der Meister ist da und lässt dich rufen.

Als Maria das hörte, stand sie sofort auf und ging zu ihm. Denn Jesus war noch nicht in das Dorf gekommen; er war noch dort, wo ihn Marta getroffen hatte. Die Juden, die bei Maria im Haus waren und sie trösteten, sahen, dass sie plötzlich aufstand und hinausging. Da folgten sie ihr, weil sie meinten, sie gehe zum Grab, um dort zu weinen.

Als Maria dorthin kam, wo Jesus war, und ihn sah, fiel sie ihm zu Füßen und sagte zu ihm:
Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.

Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr gekommen waren, war er im Innersten erregt und erschüttert.

Er sagte:
Wo habt ihr ihn bestattet?

Sie sagten zu ihm:
Herr, komm und sieh!

Da weinte Jesus.

Die Juden sagten:
Seht, wie lieb er ihn hatte!

Einige aber sagten:
Wenn er dem Blinden die Augen geöffnet hat, hätte er dann nicht auch verhindern können, dass dieser hier starb?

Da wurde Jesus wiederum innerlich erregt und er ging zum Grab. Es war eine Höhle, die mit einem Stein verschlossen war.

Jesus sagte:
Nehmt den Stein weg!

Marta, die Schwester des Verstorbenen, sagte zu ihm:
Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag.

Jesus sagte zu ihr:
Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?

Da nahmen sie den Stein weg.

Jesus aber erhob seine Augen und sprach:
Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.

Nachdem er dies gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme:
Lazarus, komm heraus!

Da kam der Verstorbene heraus; seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt.

Jesus sagte zu ihnen:
Löst ihm die Binden und lasst ihn weggehen!

Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.

Johannes 11,1-45

Gibt es ein Leben vor dem Tod?

Liebe Schwestern und Brüder, am heutigen 5. Fastensonntag,
„Gibt es ein Leben vor dem Tod?“ Jetzt werden manche sich sagen: „Da muss sich der Pfarrer jetzt aber versprochen haben! Das muss doch heißen: ‚Gibt es ein Leben nach dem Tod?‘“ Doch ich habe schon bewusst so gesagt, ‚Gibt es ein Leben vor dem Tod?‘

Natürlich ist die Frage:
„Gibt es ein Leben nach dem Tod?“ die sog. Gretchenfrage unseres Glaubens. Mit der Auferstehung, die wir in genau zwei Wochen feiern, steht und fällt unser christliches Dasein. Ohne sie keine berechtigte Hoffnung. Ohne sie kein aufrichtiger Glaube. Ohne sie ist alles sinnlos und umsonst.

Die heutige Stelle aus dem Johannesevangelium bereitet uns jetzt schon auf das große Fest vor, das wir dann in 14 Tagen feiern. Doch wenn wir dieses Evangelium heute genauer betrachten, kann man erkennen, dass es hier auch um das Leben vor dem Tod geht. Heute geht es um die Auferweckung des Lazarus, und – wie eben gesagt – es ist ein Vorgeschmack, ja eine Einleitung auf das, was wunderbares uns noch bevorsteht. Wir hören, wie Jesus selbst dieses letzte und größte aller Wunder im Johannesevangelium vorbereitet, wie er mit Marta spricht und ihr sagt, was er unter Auferstehung und Leben versteht und wie er seinen Freund Lazarus zunächst in Liebe beweint, und dann doch in seiner ganzen Macht als lebensspendender Gottessohn aus dem Grab herausholt und von seinen Leichenbandagen befreit.

Liebe Schwestern und Brüder,
dieses Evangelium beantwortet nicht nur die Frage: Gibt es ein Leben nach dem Tod, sondern auch die Frage: „Gibt es ein Leben vor dem Tod?“

In den Texten des heutigen Tages geht es nicht nur um einen physischen Tod. Die Lesungen und das Evangelium sprechen nicht nur von einem Tod, der irgendwann materiell und absolut sicher auf uns zukommt. Es geht heute nicht um ein Datum in der Zukunft, es geht heute nicht darum, wie man dieses Datum vor sich herschiebt, vertuscht, verdrängt oder gar überspielt. Die Lesungen und das Evangelium sprechen hier von einem anderen ja zweiten Tod, der im Vergleich zu diesem ersten materiellen Tod schrecklich, grausam und vernichtend ist. Wer diesen zweiten Tod jetzt schon stirbt, ist jetzt schon eine Mumie – eine lebendige Leiche, obwohl die vegetativen Funktionen rein medizinisch noch festzustellen sind.

Marta sagt zu Jesus: Ich weiß, dass er auferstehen wird am letzten Tag. Worauf Jesus entschieden erwidert: Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt wird leben auch wenn er stirbt, und jeder der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.

Jesus spricht hier eben nicht nur so einfach von einer Auferstehung zu irgendwelchem Datum. Nein! Er spricht vom Leben im Hier und Jetzt. Er redet davon, dass echtes Leben die Verbindung zu ihm und somit zu Gottunserem Vater ist. Ihm ist dieses Leben wichtig, weil er es von sich aus als Freundschaft versteht, so wie er auch ausdrucksstark um seinen Freund Lazarus geweint hat, bevor er ihn wieder aus dem Grab herausgeholt hat.

Gott schenkt uns ein Leben, das jetzt schon Leben ist. Wer dieses Leben hat, sieht den physischen materiellen Tod nicht mehr als bedrohlichen Feind, den er vor sich herschieben, vertuschen, verdrängen oder gar überspielen müsste. Natürlich hat der physische Tod einen gewissen Schrecken, dem sich keiner entziehen kann. Doch mit einem Glauben, den Jesus von der Marta und somit von uns gefordert hat, kann dieser Schrecken angegangen & „überwunden“ werden.

Der Heilige Franz von Assisi singt in der letzten Strophe seines berühmten Sonnengesanges: Gelobt sei du Oh Gott für unseren Bruder Tod, denn der Zweite Tod kann uns nichts mehr anhaben. Franziskus hat in seiner Freundschaft zu Jesus Christus verstanden: Es gibt zwei Tode, einen äußerlichen, den man nicht mehr fürchten muss, und einen ewigen Tod, der jetzt schon beginnen kann. Paulus schreibt dazu im Epheserbrief: Die wahrhaft toten Menschen leben jetzt schon ohne Gott und ohne Hoffnung. 

Wie ein Prophet sieht Paulus den Menschen von heute, der keinen Gott und damit kein Leben mehr hat, und das Glück wäre dann für einen solchen nur noch eine Fatamorgana. Die irdischen Güter, auf die sich dieser Mensch verlässt, sind nur dann Vergängliches. Ein solcher Mensch kann den leiblichen Tod nur überspielen, verdrängen und vor sich herschieben. Ein solcher ist entweder nur vom Schicksal getrieben oder von äußeren Glücksbringern abhängig.

Jesus schenkt durch sein Wort der Freundschaft echtes und tiefes Leben, ein Leben, das über diese Welt hinausschaut und schon jetzt das volle tiefe und „ewige“ Leben bedeutet. Jesus befreit uns von den Leichenbandagen eines Lazarus. Er befreit uns von den Fesseln, die uns zu sehr an diese Welt festketten.  

Liebe Schwestern und Brüder!
Gibt es ein Leben vor dem Tod? Ja! In der Liebe und Freundschaft zu Jesus haben wir echtes Leben in Fülle und ewiges  Liebe schon im Hier und Jetzt. Glauben wir das?