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Die Blindenheilung

von Pfarrer Thomas Gruber.

Im Vorbeigehen sah Jesus einen Mann, der von Geburt blind war. Jesus sagte:
Ich bin ich das Licht der Welt.

Als Jesus dies gesagt hatte, spuckte er auf den Boden und rührte einen Brei mit seinem Speichel an. Er strich den Brei auf die Augen des Mannes und befahl ihm: Geh zum Teich Schiloach und wasche dir das Gesicht.

Schiloach bedeutet: der Gesandte. Der Mann ging dorthin und wusch sein Gesicht. Als er zurückkam, konnte er sehen.

Da sagten seine Nachbarn und die Leute, die ihn vorher als Bettler gekannt hatten:
Ist das nicht der Mann, der immer an der Straße saß und bettelte?

Einige meinten:
Das ist er.

Andere sagten:
Nein, er ist es nicht; er sieht ihm nur ähnlich.

Der Mann selbst bestätigte:
Ich bin es!

Sie brachten den Mann, der blind gewesen war, vor die Pharisäer. Der Tag, an dem Jesus den Brei gemacht und den Blinden geheilt hatte, war ein Sabbat. Auch die Pharisäer fragten ihn, wie er sehend geworden sei. Er erzählte ihnen:
Der Mann strich einen Brei auf meine Augen, ich wusch mein Gesicht, und jetzt kann ich sehen.

Einige von den Pharisäern sagten:
Wenn er das getan hat, kann er nicht von Gott kommen, weil er die Sabbatvorschriften nicht einhält.

Andere aber sagten:
Wie kann jemand ein Sünder sein, der solche Wunder vollbringt?

Die Meinungen waren geteilt.

Da befragten sie den Geheilten noch einmal:
Was hältst denn du von ihm? Du bist doch der, den er sehend gemacht hat.

Er ist ein Prophet!
antwortete der Mann.

Die Pharisäer aber sagten:
Du bist ja schon von deiner Geburt her ein ausgemachter Sünder, und dann willst du uns belehren?

Und sie warfen ihn hinaus.

Als Jesus hörte, dass sie ihn aus der Synagogengemeinde ausgeschlossen hatten, suchte er ihn auf und fragte ihn:
Willst du ganz zum Menschensohn gehören?

Der Mann antwortete:
Herr, wenn du mir sagst, wer es ist, will ich es tun.

Jesus sagte:
Er steht vor dir und spricht mit dir.

Herr, ich will dir allein gehören!
sagte der Mann und warf sich vor Jesus nieder

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitchristen am heutigen 4. Fastensonntag!

Wann waren Sie das letzte Mal bei einem Augenarzt? Wann haben Sie das letzte Mal ihre Sehorgane untersuchen lassen? Brillenträger werden ihre Augen jetzt vielleicht rollen, weil sie nachdenken, dass vielleicht wieder ein Besuch bei einem solchen nicht schlecht wäre. Allgemein empfiehlt es sich ja – nicht nur ab einem gewissen Alter – einen solchen Arzt aufzusuchen, da man weiß, dass gerade bei „Augen-Starerkrankungen“ eine Vorbeugung das „A und O“ dagegen ist. Augenärzte und dann der Optiker sind schon wichtig. Schon alleine diese schlichten alltäglichen Gedanken machen das heutige Evangelium so aktuell.

Jesus hat für uns im Glauben immer auch die Rolle eines Arztes inne. Er ist der „hiatros tä psychä“ (griech.), also „Arzt unsere Seele“ schlechthin. Er möchte uns von Krankheiten heilen oder uns vor ihnen bewahren. Und somit möchte er uns auch – natürlich – von der Blindheit fernhalten. Klar ist da weniger die Blindheit der Augen im Kopf gemeint, sondern die Blindheit des Herzens. „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Dieses geflügelte und sehr bekannte Wort des französischen Dichters Antoine de Saint-Exupéry wird heute wieder in den Mittelpunkt gerückt.

Das richtige innerlich offene Auge für das wahre „Helle im Leben“, ja überhaupt für die richtigen Dinge, ist das Thema aller Texte des heutigen Tages: David wird in der ersten Lesung zum König gesalbt. Das heißt, nicht der äußerlich mächtige, starke und große, sondern der innerlich einfache und kleine Mensch wird von Gott gesehen. Das „innere Auge“ ist also gefragt. In der zweiten Lesung aus dem Epheserbrief wird Jesus als das Licht schlechthin beschrieben und im heutigen Evangelium geht es um die Blindenheilung. Da hilft Jesus einem Blindgeborenen durch Berührung; doch man merkt da sehr schnell, dass da viele Blinde heute im Text vorkommen, eben Menschen, die innerlich blind sind und nicht sehen, was Gott wirklich will, ja wer er eigentlich überhaupt ist.

Im heutigen Evangelium wird in der griechischen Originalsprache das Wort „blepo“ (= sehen) verwendet. Im Vergleich (im Gegensatz) zum Wort „orao“ (= sehen) ist bei diesem Sehen mehr das „Durchblick haben“ gemeint, also ein „tieferes Sehen“. Schon allein diese kleine Auffälligkeit zeigt deutlich, dass es Jesus heute um den „wahren Durchblick“ geht. Er möchte die Blindheit unseres Herzens heilen. Und vor allem er möchte sich selber uns sichtbar machen, „sichtbar“, wer er wirklich ist: Das Licht der Welt.

Das seelische Auge kann ja so leicht blind werden. Man glaubt ja nicht welche Erblindungen es geben kann. Wir sind oft „blind“, weil wir meinen, zu sehen!

Im Blick auf den Glauben gesprochen:
Man meint Gott zu sehen, aber in Wirklichkeit ist ER es nicht wirklich. Augustinus hat da einmal sehr treffend gesagt: „Si comprendis, non est Deus. = Wenn Du meinst, dass Du Gott verstanden hast, ist er es eben nicht (mehr).“ Wir machen uns selber blind, weil wir meinen, Gott müsste so oder so sein. Er müsste unsere Wünsche sofort erfüllen, er sei der sofortige Weltenerlöser nach unseren Vorstellungen. Doch das ist eigentlich Blindheit. Und wenn er dann bestimmte Wünsche nicht erfüllt, dann haben wir die Tendenz den Glauben zu verlieren (Hart aber ehrlich gesprochen). Wir „machen“ uns einen Gott in unseren Vorstellungen. Einen Gott, der so oder so zu sein hat. Und in Wirklichkeit ist es nicht Gott, sondern ein Bild unserer Wünsche oder irgendwie gearteten Vorstellungen. Gott ist immer größer!

Martin Buber, ein großer jüdischer Theologe, hat diesen Gedanken mit seinen eigenen Worten – schön psychologisch – zum Ausdruck gebracht. Er meinte, viele Menschen leben im ICH und machen den Rest der Welt zum „ES“. Da passiert es dann, dass wir Menschen unser „Ego-Ich“ zu sehr in den Mittelpunkt stellen – und alles andere und alle anderen werden dann nur Mittel zu dem Zweck, dass „es“ nur unserem Ego dient. Sicherlich haben wir alle diesen Drang, auf unser ICH zu schauen. Das gehört zu unserer Entwicklung, ja unserem Menschsein dazu. Doch hier kann man so leicht „blind“ werden. Martin Buber schlägt vor, die Welt nicht in ICH und ES aufzuteilen, sondern in ICH und DU; denn dann öffnen sich die Augen des Herzens. Dann ist der Mensch nicht blind in seinen Vorstellungen (= „Egoismen“) gefangen, sondern wird „sehend“.

Mein ICH steht immer einem Du gegenüber, das mich in die Wirklichkeit schauen lässt. Mein ICH steht immer in einer Beziehung. Beziehungen machen eigentlich mein Leben aus.  Der Mensch ist – im Grund seines Herzens – nicht ein „EGO-TIER“, sondern ein Wesen, das immer in Beziehung, Liebe und Anerkennung lebt. Aber nicht um damit sein EGO zu füttern, sondern immer dem Anderen als DU zu begegnen und so in der Liebe zu wachsen. Dazu braucht es die Offenheit des Herzens, Einsicht, Ruhe und Bescheidenheit.

Natürlich braucht es Menschen, die dieses „DU“ zum Ausdruck bringen. Aber die Menschen alleine sind auch nur Ausdruck eines großen über allem stehenden „Du“. Dieses große „Du“, das grenzenlos ist, das immer Licht und Liebe spendet und immer Licht werden lässt, dieses innere Licht, will Gott sein. „Jesus ist das Licht der Welt.“ (Joh 9,1) Möge er die Blindheit des Herzens immer heilen und uns vor Dunkelheit bewahren.

Kindern schreibe ich gerne in Freundschaftsbücher, wenn sie mir eines zum Reinschreiben geben, einen schönen Satz, den ich bei Nikolaus von Zinzendorf, einem Theologen der evangelischen Kirche (+1760) gelesen habe:
„Ach Herr gib blöde Augen in Dinge, die nichts taugen; doch gib den Augen Klarheit in alle Deine Wahrheit.“