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Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe

von Pfarrer Thomas Gruber.

Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach:
Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!

Als Jesus am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder des Simon, die auf dem See ihre Netze auswarfen; sie waren nämlich Fischer. Da sagte er zu ihnen:
Kommt her, mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen.

Und sogleich ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach. Als er ein Stück weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes; sie waren im Boot und richteten ihre Netze her. Sogleich rief er sie und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot zurück und folgten Jesus nach.

Markus 1, 14-20

Stellen Sie sich vor, Angela Merkel wäre noch vor Weihnachten vor die Kameras getreten und hätte sich mit folgenden Worten vor die Mikrofone gestellt:

„Ich habe für Euch nun eine frohe Botschaft. Ja, ein Evangelium! Der Impfstoff ist jetzt da, die Zeit der Überwindung der Krankheit ist nahe. Jetzt bemüht Euch bitte die kommenden Wochen noch und besinnt Euch darauf, dass es noch eine letzte Kraftanstrengung ist – und vertraut meinen Worten: Leistet bitte jetzt meinen Anweisungen Folge!“

Nun, viele werden sich über diesen Predigteinstieg etwas verwundert „die Ohren reiben“. Doch die Meisten werden mir zustimmen, dass man sich das gar nicht „vorstellen“ muss. Denn Merkel hat das ja tatsächlich – ungefähr so – getan bzw. gesagt, und auch so gemeint.

Wie es wiederum der letzte Dienstag und das Treffen mit den Ministerpräsidenten gezeigt haben, sind die Worte bei uns schon fast in den letzten Winkeln unserer Gehörgänge angekommen: Ja wir haben Hoffnung für die künftigen Monate, das „Licht am Horizont“ ist nah. Aber jetzt, bitte, müssen wir halt noch Geduld haben und vor allem noch einmal „uns auf uns selber besinnen“, dass wir (!) es in der Hand haben. Wir sollen den Bestimmungen unserer Regierung gehorchen, damit alles ins Lot kommt – zum Wohl und zur Gesundheit aller.

Liebe Schwestern und Brüder.

Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium.

Diese soeben gehörten Worte am Anfang des ersten Evangeliums, des Markusevangeliums, also die ersten Worte und Aktionen Jesu, „in die (vergleichende) Nähe“ unserer Regierung zu bringen, lassen uns sicherlich aufhorchen. Ich gebe zu es, ist auch „provokant“.

Natürlich ist es eine glatte „Überhöhung“, den Regierenden eine religiöse Rolle zuzuspielen. Unsere Kanzlerin und unsere Ministerpräsidenten sind ja keine Religionsstifter. Und „Evangelien“ (im religiösen Sinn) verkünden sie uns auch nicht. Klar können uns Politiker nicht den Himmel und die Ewigkeit versprechen.

Doch der Vergleich mag kein ganz „schlechter“ sein, auch bei so manchem grummeligen Gefühl! Gerade in den aktuell durchaus dramatischen Zeiten, wo es unter schwierigen Umständen in der Menschheitsfamilie um die Solidarität mit den Alten und Kranken geht, haben wir die große Chance, mal wieder so richtig nachzudenken. Nachzudenken, dass wir alle auch nur ein kleines Steinchen in der Geschichte dieser Welt sind. Und wir auch einen tieferen Sinn, eine höhere Bestimmung, einen liebenden Gott und vor allem Zusammenhalt brauchen.

Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium.

Der Evangelist Markus gilt als einer, der fast „holzschnittartig“ das Wesentliche des Glaubens zusammengefasst hat. Das aber „genial“. Denn:
Durch die Kürze der Markusworte, durch die Beschränkung auf das Wesentliche, dürfen wir selber unseren Glauben auslegen. Pinchas Lapide hat es treffend gesagt: Auslegungen gibt es so viele, wie Menschen auf dieser Welt leben.

Kurz ein paar Stichpunkte:
Die Zeit ist erfüllt. Diese Zeit ist nicht in Sekunden und Minuten zu messen. Diese Zeit ist die Zeit in unserem Herzen. Es ist die Zeit, die wir echt leben. Ob im Genuss des Augenblicks oder in der Beklemmung von Angst und Ungeduld. Diese Zeit ist immer auch eine Chance, sich mit dem Wesentlichen zu verbinden. „Wie?“, das lässt Jesus im Markusevangelium heute offen.

Einzig die Nähe seines Reiches, das heißt seine Herrschaft über unser ganzes Leben, also über unser Herz, ist wichtig. Haben wir mehr Angst oder mehr Hoffnung, mehr Misstrauen oder Liebe in uns? Alles wird im Markusevangelium sozusagen „ange-schnitten“. Es liegt in unserer Hand, wie wir es in uns „umsetzen“. Das Entscheidende wird „im Vertrauen zum Evangelium“ gesehen. Das Wort „Evangelium“ war früher ein eher politischer Ausdruck. Die Geburt eines neuen röm. Kaisers wurde als „Evangelium“ für alle Reichsbürger dargestellt. Damit wollte man den Leuten Hoffnung machen.

Markus sieht im ganzen Leben und Sterben, und vor allem in Tod und Auferstehung das „Evangelium“, also die Frohe Botschaft. Die Menschen können Hoffnung und Zuversicht haben, wenn sie sich ganz diesem Jesus anvertrauen. Vertrauen heißt nicht nur „für wahr halten“, was er so gemacht hat (das wäre noch zu wenig), sondern Jesus sein Herz schenken.

Letztendlich will er uns alle „rufen“, wie er die vier Jünger heute gerufen hat. Hier fällt auf, dass es keine Einladung ist: „Kommt! Folgt mir!“ Das klingt härter. Nahezu befehlsartig wirkt der Ruf Jesu, weil auch das Leben nicht immer nur eine Einladung ist, sondern weil das Leben auch in seinen Zwängen „lebt“. Ganz einfach wird von Markus beschrieben, wie das Leben halt oft so spielt. Das Leben ist nicht nur „Annehmen von Einladungen“. „Mit Jesus mitgehen, – dann sogar bis ans Kreuz und damit auch wieder zur Auferstehung“.

Auch hier ist die Botschaft Jesu hart, aber auch wieder sehr ehrlich zugleich – wie halt das Leben so spielt. Wenn ich ehrlich bin: So sind unsere Lebensläufe halt oftmals. Das „Kreuz“ zeigt sich oftmals, wenn im Leben etwas nicht so läuft, wie ich meine. Es braucht nicht gleich das große „Kreuz“ (also schwere Schicksalsschläge), es reichen die kleinen „Durchkreuzungen“ unserer Lebenswege. Diese holen uns auch schon von unseren „hohen Rössern“ herunter. Markus meint hier nicht, dass wir unsere „Selbstherrlichkeit“ verlassen müssen – das hört sich schon wieder so moralisch an – er erinnert mit den Worten Jesu ganz einfach nur daran, dass wir alle „Durchkreuzungen“ in unserem Leben in uns tragen. Das als Botschaft reicht schon, „auslegen“ oder „interpretieren“ (mit Pinchas Lapide gesprochen) können wir es uns selbst. Einzig zu sagen ist, dass wir nur in dieser „Nachfolge Jesu“ es am besten können. Er geht voraus und gibt Hoffnung. Hoffnung, die „von oben“ kommt. Mehr als nur eine menschliche Versprechung.

Liebe Schwestern und Brüder, ob „große“ Botschaften, wie jetzt zur Zeit der Pandemie von Politikern, oder ob kleine Botschaften, die wir uns selber in unserem Herzen „ersinnen“ können: Alles bleibt begleitet von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der alles in seiner Liebe trägt. „Hoffentlich!“

Amen.