Zum Inhalt springen

Einheit

von Pfarrer Thomas Gruber.

Alle sollen eins sein:
Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins sind, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und sie ebenso geliebt hast, wie du mich geliebt hast.

Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor Grundlegung der Welt.

Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt und sie haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und ich in ihnen bin.

Johannes 17,21-26

In einer jüdischen Weisheitsgeschichte wird von einem Mönch erzählt, der in eine tiefe Meditation versunken war. Er wollte die Einheit mit Gott suchen und glaubte, sie in der Stille endlich gefunden zu haben. Doch da huschte plötzlich eine Maus an ihm vorbei und begann vor seinen Augen herumzutanzen. „Mausvieh hau ab!“ herrschte der Mönch das kleine Tierchen an. „Du störst meine Meditation um die Einheit mit Gott.“ Da ließ Gott in seiner Allmacht die Maus zu reden beginnen. Sie entgegnete dem völlig verdutzten Gottesmann: „Wie willst Du denn die Einheit mit Gott finden, wenn du nicht einmal mit mir, einem winzigen Teil seiner Schöpfung, einig werden kannst?“

Liebe Schwestern und Brüder, die „Einheit“ ist unter anderem auch Thema des heutigen Evangeliums. 

Die Einheit ist generell ein wichtiges Thema im Glauben – und nicht nur im Glauben, sondern im Leben, also im Ganzen in Verbindung mit dem Alltag überhaupt.

Wir Menschen haben immer die Sehnsucht nach Einheit, sie bestimmt unseren Lebensplan:
Menschen suchen in der Familie immer nach Einheit und Geborgenheit. Menschen in Gemeinschaften und Vereinen sehnen sich nach gemeinsamen Zielen und die Verwirklichung ihrer Träume.

Auch der Ökumenische Kirchentag, der virtuell gestaltet wurde und heute abgeschlossen wird, ist Baustein eines beständigen Versuchs, auch die Einheit im Glauben nicht aus dem Blick zu verlieren.

Auch der Mensch selbst, wie es die Anfangsgeschichte schon angedeutet hat, ist auch immer auf der Suche nach Einheit mit seinem Lebenssinn und darin im alltäglichen Tun.

Wie oft fühlen sich Menschen gespalten. Weil sie sich – zum Beispiel – nicht entscheiden können! Wie oft tun Menschen sich schwer mit sich selbst, weil die Einheit in ihrem Herzen nicht ausgereift ist. Schlechte Laune, fehlende Gelassenheit und vieles mehr können die letzte innere Einheitlichkeit rauben.

Die fehlende Einheit macht Menschen krank, genauso wie der Körper eines Menschen krank ist, wenn er etwas hat, was die Einheit des Organismus durcheinander bringt.

Das Heutige Evangelium ermutigt uns wieder, die Einheit nicht aus dem Blick zu verlieren.

Heute betet Jesus selbst um die Einheit mit allen Menschen, weil doch auch er als der Sohn Gottes eins mit Gott dem Vater ist. Man nennt es das Hohepriesterliche Gebet des Johannesevangeliums.

Eine irgendwie einfache und simple Formulierung:

Die Einheit ist immer unser Ziel, jetzt sind wir auf dem Weg dort hin. Gott selber – in seinem Wesen – ist gelebte Einheit. Wenn man heute beim Zuhören des Evangeliums ein wenig abgeschweift ist, mag das vielleicht daran liegen, dass wir uns noch zu wenig Gedanken gemacht haben – über die Einheit, oder besser gesagt über das Wesen der Einheit.

Die Beziehung zu Gott-Vater und Gott-Sohn ist ein Vorbild an Einheit. Einheit haben heißt ja nicht gleichförmig sein wie Uhrwerke, wie Marionetten oder wie sich gleich bewegende Soldaten bei einer Parade, auch wenn die gleichförmige Geometrie natürlich etwas schönes und berauschendes an sich hat.

Aber:
Echte grundsätzliche und tiefe menschliche Einheit ist schon anders; denn Ameisen sind wir nicht: Unsere Einheit kommt von Gott – und Jesus zeigt sie uns, wie sie bei Gott also in ihrem Ursprung ist:
Einheit ist eine lebendige Beziehung, wo man sich am Du des Anderen erkennt. Sie ist und bleibt immer ein Gottesgeschenk. Sie ist nicht machbar! Doch wir dürften uns um sie immer bemühen. Sie braucht viel Verständnis, Toleranz, Versöhnungsbereitschaft und Geduld. „Die Einheit lebt in der Verschiedenheit“, so sagte es der Philosoph Nikolaus Kusanus, der schon vor 600 Jahren um die Einheit in einem gespaltenen Europa geworben hat: Wenn wir die Einheit auf hohem Niveau leben wollen, ist die Verschiedenheit immer mit eingeschlossen.

Mein Musterbeispiel ist und bleibt dazu das Haus oder die Wohnung: Wenn ein junges Paar zusammenzieht und sich eine Wohnung einrichtet oder gar ein Haus baut, geht es sehr objektiv um Einheit. Sie sucht die Vorhänge aus, er den Fernseher, die Stereoanlage oder den Computer, sie überlegt sich die Farbe der Wohnzimmercouch oder die Farbe der Fliesen im Badezimmer.

Jeder bringt also seine Verschiedenheit mit, aber gemeinsam wird Einheit verwirklicht. Jeder entdeckt am Geschmack oder der Entschlussfreudigkeit des Anderen sein eigenes „Ich“. Beide gemeinsam wachsen zusammen. Vorausgesetzt, jeder ist vom Geist der Einheit getragen. Reine Sturköpfe machen da alles kaputt. Natürlich muss man auch um Einheitlichkeit ringen. Der Geist der Einheit vermittelt immer – wie schon gesagt – Verständnis, Toleranz, Versöhnungsbereitschaft und Geduld. 

Einheit verwirklicht sich in gelebter Verschiedenheit. Und die Arbeit um die Einheit ist immer eine Aufgabe.

„Einheit verwirklicht sich in gelebter Verschiedenheit“ darf kein Alibisatz sein, nichts mehr für eine Einheit zu tun. Der Satz „Ein jeder ist anders und das ist halt so.“ möge nicht dazu verleiten, es aufzugeben. Die ständige Suche (der Blick) nach einer „objektiven Einheit“ muss immer in uns lebendig sein. Eine Beziehung zw. Mann und Frau bricht auseinander, wenn jeder nur macht, was er will, und man dann irgendwie von Einheit spricht, die nicht mehr herrscht. Wo bliebe da der Geist des Verständnisses, der Toleranz, der Versöhnungsbereitschaft und der Geduld. 

Auch der Ökumenische Kirchentag in diesem Jahr will immer dieses Ziel der objektiven Einheit vor Augen halten. Gerade hier heißt es, das Gemeinsame immer mehr betonen und wertschätzen und das Trennende, was in der Minderheit ist, so im Auge zu behalten, dass man sich nicht darin die Kräfte raubt, sondern immer wieder die Kräfte motiviert, weiter an Einheit zu arbeiten.