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Festpredigt zu Kirchweih 2022

von Pfarrer Thomas Gruber

Wie geht es dem Schiff der Kirche, wie ist es um das Schiff der Kirche gegenwärtig bestellt?
Eine Frage, die an einem Kirchweihsonntag direkt und unverhohlen wieder gestellt werden darf.

Ja, das Schiff der Kirche! Man darf sagen: Es „schwankt“. 

Im wortwörtlichen Sinne darf man auf Hallbergmoos Sankt Theresia schauen: Eine Renovierung steht an. Veränderungen in der Chefetage im Bauamt des Bistums haben riesige Verzögerungen hervorgebracht. Jetzt wäre bei der Renovierung soweit alles genehmigt, jetzt weiß man nicht, was die anstehende Energie- und Wirtschaftskrise wieder an Verzögerungen bringen könnte.

Im übertragenen Sinn wankt das Schiff natürlich auch.

Wie geht es der Glaubensgemeinschaft der Kirche bei uns?
Schon im Kleinen schaut es krisenhaft aus. Noch spüren wir die Coronakrise. Krankheitsfälle in Eching und Neufahrn, ja sogar in Birkeneck machen deutlich, dass vieles unsicherer und manchmal auch eingeschränkter läuft und laufen muss.

Und im Blick auf die Kirche im Großen?
In Deutschland liegt immer noch der übergroße Schatten der Missbrauchskrise über uns, der gerade jetzt eine gigantisch große Austrittswelle gebracht hat. Dadurch dass mit der Energiekrise das Geld nun auch noch knapper wird, weiß man noch nicht, wie sich das weiter auf das Schiff der Kirche auswirken wird. Verunsicherungen bestimmen ja momentan eh den Lauf der Dinge. In die Kirche ist auch die Verunsicherung eingezogen.

Das Schiff der Kirche schwankt und wankt, ganz sicherlich.

Aber, liebe Schwestern und Brüder, es wird nicht untergehen. Das darf auch eine Botschaft nach dieser kleinen aber deutlichen Bestandsaufnahme sein. Das Schiff der Kirche kann Krisen durchlaufen.

Auch wenn die Kirche sehr mit einem Verein vergleichbar ist, von vielen sogar als Verein (ob scherzhaft oder aus Unkenntnis) bezeichnet wird: Die Kirche ist mehr als ein Verein. Sie ist die Verbindung von Gläubigen und Gott, sie ist die Gemeinschaft von Erde und Himmel, und sie will im Tiefsten auch die Herzen aller gewinnen. Gerade dort, wo die Hoffnungslosigkeit am Größen ist.

Mit vielen Bildern und Vergleichen hat man dazu die Kirche ausgestattet: Der Weinstock und die Rebzweige, der Hirte und die Herde, der Bräutigam und die Braut sind einige der Bildvergleiche die beschreiben, wie unsere Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem Sohn Gottes, verstanden werden kann. „Wir sind sein Leib und wir sind seine Glieder“ ist sicherlich das theologische Bild schlechthin, gerade weil ja in der Heiligen Messe die Eucharistie, also der Leib Christi, und unsere Gemeinschaft mit ihm (auch) sehr mystisch und tiefsinnig dargestellt werden.

Und natürlich, das „Schiff“ ist auch ein guter Bildvergleich. Auf den unruhigen Meeren dieser Welt ist das Schiff ein relativ sicherer Ort, um durch diese zu kommen. Die Arche Noah war da traditionell immer ein guter Bildvergleich; denn mit dieser Arche kann man durch die „böse Sintflut“ dieser Welt steuern. Ein Schiff, das am Ende auf sicherem Land wieder auftrifft – und uns rettet.

Liebe Kirchweihgemeinde,
diese Bilder, gerade die im Glauben für uns so wichtigen, machen schon deutlich, dass das Schiff der Kirche und der Leib Christi immer zwei Seiten hat. Die Rettung – aber auch die Krise. Beides sind zwei Seiten einer Medallie.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese zwei Seiten immer mit dem Bild des „Volk Gottes“ ins Wort gebracht, als es vom „pilgernden“, vom „leidenden“ und doch auch „triumphierenden Volk“ gesprochen hat. 

Wir pilgern, zum Ersten: Wir sind also unterwegs. Vom Bild einer Gemeinschaft, die sich in einer Burg in Sicherheit wiegt und den Feind gegen die Burgmauern anrennen lässt, kann die Kirche nicht sprechen. Wenn wir sagen, wir „pilgern“ als Gemeinschaft, heißt das viel: Das „Unterwegssein“ bringt viel „Erdkontakt“ mit sich. Die Kirche ist keine perfekte Sozialeinheit, die über der Erde schwebt. Papst Franziskus drückt es so aus: Die Kirche macht sich notwendigerweise auch schmutzig, sie verbeult sich in dieser Welt, auch wenn sie nicht von dieser Welt ist. Aber sie ist in der Welt! Das ist Pilgern. Natürlich halten die Pilgernden zusammen. Sie singen Lieder und können mit dem Schmutz der Straßen und Wege umgehen. Man verheimlich es nicht. Geht offen damit um. Pilgernde haben ja das Ziel stets im Visier. Sie sind unterwegs und sitzen nicht nur auf einer Burg.

Das Pilgern und die Blasen an den Füßen zeigen natürlich auf die leidende Kirche. Wenn Jesus ans Kreuz gegangen ist – er, das Haupt der Kirche – dann muss es uns nicht unbedingt besser ergehen. Leidvolle Krisen bestimmen ja auch unser persönliches Leben, die man nicht „klein reden“ soll – ohne jetzt zu „jammern“. Das Leid bestimmt unser Leben auch mit, das Leid darf auf keinen Fall ausgeblendet werden. Auch wenn wir es nicht suchen und um Verschonung davor beten, ist es doch immer ein Bestandteil im Leben (Glaube ist kein Kuschelkurs)! Das Leid muss angeschaut werden können, auch wenn es noch so schlimm ist. 

Die Kirche ist Bestandteil dieser Welt. Gerade auch das Beispiel des Missbrauchs hat uns das wieder neu aufgedeckt. Auch die Kirche leidet (oder besser formuliert: krankt) gerade mit dieser Welt, weil sie Bestandteil dieser Gesellschaft ist. Die Fehler dieser Gesellschaft spiegeln sich (leider) auch in der Kirche wider, weil die Kirche auch in dieser Welt ist. Auch die Kirche ist nicht frei von Machtmissbrauch und Clanstrukturen. Daran krankt auch sie – und Christus leidet immer mit ihr – und Jesus leidet mit allen Menschen, die hier Unrecht erfahren haben. 

Ja! Jetzt muss die Kirche daran „leiden“, weil Unrecht (endlich) aufgedeckt wird. Bei diesem Gedanken ist mir ein Gespräch mit einem Pfarrer eingefallen, der mir von einem Mann erzählte, der wegen eines Missbrauchs aus der Kirche ausgetreten ist. Dieser Mann wurde von seinem Onkel früher missbraucht. Das war nicht im kirchlichen, sondern im familiären Rahmen. Doch dieser Mann hat gelitten, dieses Leid wurde ihm durch die Kirche erst wieder neu bewusst, und deshalb „musste“ er austreten. Er hat sogar gesagt: Die Kirche ist in dieser Welt, und auch sie ist nicht frei von Unrecht – und jetzt soll auch sie daran „leiden“! 

Ein schwieriger und doch hochinteressanter Gedanke: Jesus „hängt am Kreuz“, für alle im Leid stehenden Menschen dieser Welt (eben auch für die Missbrauchsopfer). Und weil Kirche in dieser Welt ist, ist auch in der Kirche Leid. Und jetzt muss sie dieses Leid auch aufdecken: In sich selbst, aber sie tut es indirekt auch darüber hinaus. Zur Zeit werden in vielen gesellschaftlichen Gruppen (z. B. in Sportvereinen, Familien und anderen religiösen Gemeinschaften) Missbrauchsfälle bewusster wahrgenommen und vermehrt zur Anzeige gebracht. Zu Recht!

Aber, und das ist wichtig: Es kann auch Versöhnung geben! Die Kirche ist in einem weiteren Aspekt auch eine triumphierende, so das Zweite Vatikanische Konzil. Das besagt die Auferstehung Jesus nach seinem leidvollen Tod am Kreuz. Versöhnung ist möglich, selbst wenn es den Tod dazu auch noch braucht.  Doch letztendlich lohnt es sich, mit dem Schiff der Kirche zu fahren. Die Gemeinschaft der an Jesus Glaubenden braucht trotz des Wellengangs keine Angst zu haben, sie ist auch eine „triumphierende“. Klar muss dabei natürlich bleiben: Das Wort „Triumph“ soll die Kirche nicht arrogant und selbstherrlich machen, was ja eben zu Machtmissbrauch führen kann; denn es gibt auch in ihr sehr viele Fehler. Vielmehr gilt: das Wort „Triumph“ soll ihr Hoffnung geben. Denn Gott will sie immer führen zu einer wahren, ehrlichen und hoffnungsvollen Gemeinschaft, vor allem dann auch am Ende im Himmel. +