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Gott will nicht die Sünde; doch er liebt (trotzdem) den Sünder

von Pfarrer Thomas Gruber.

Jesus aber ging zum Ölberg. Und frühmorgens kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm, und er setzte sich und lehrte sie.

Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm:
Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?

Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.

Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen:
Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.

Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. 

Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.

Jesus aber richtete sich auf und fragte sie:
Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?

Sie antwortete:
Niemand, Herr.

Und Jesus sprach:
So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Johannes 8,1-11

Einige Gedanken zum heutigen Evangelium nach Johannes, wo Jesus eine Ehebrecherin vor der Steinigung rettet und ihr die Schuld vergibt; jedoch sie dazu ermutigt, nicht mehr zu sündigen.

Für das Verständnis des Textes seien einige Dinge angesprochen:

  • Diese Textstelle will auf alle Fälle nicht vermitteln, dass Untreue nicht so schlimm sei oder nur ein leicht zu vergebendes Kavaliersdelikt, wenn Jesus hier als der große barmherzige „Sündenvergeber“ auftritt.
    Vielmehr wird betont, dass wir in der Beziehung zu Jesus einen starken Freund zur Seite haben, der uns die Sünden vergibt und uns wirkmächtig ermutigt, nicht mehr zu sündigen.
  • Diese Textstelle stammt nicht aus der Feder des Evangelisten Johannes, auch wenn sie im 8. Kapitel steht. Sie hat nur Wörter und Gedankengänge, die viel besser zum Lukasevangelium passen. In den ersten frühen Bezeugungen des Johannesevangeliums ist diese Textstelle nicht enthalten. Aber Augustinus und andere Kirchenväter haben diesen Text als eine spätere Hinzufügung „akzeptiert“. Mit dem entscheidenden Satz „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein!“ wird an den großartigen Satz im Lukasevangelium erinnert, als Jesus sagte „Richtet nicht, damit auch Ihr nicht gerichtet werdet!“ (Dort, wo sich in uns der Richter aufspielt, dort ist nicht die Liebe oder das Glück daheim!)
  • Diese Textstelle hat auch einen Hintergrund in der damaligen Zeitgeschichte: Um das Jahr 100 haben die Römer die Steinigung als öffentliche Hinrichtungsmethode verboten. In der „Jüdischen Welt“ machte man sich damals Gedanken darüber, wie der Ehebruch nunmehr angemessen bestraft werden könne.
  • In Folge dessen betont diese Textstelle durchaus die Ernsthaftigkeit und Wichtigkeit der Ehe als „Grundachse“ der Stabilität der Gesellschaft.
  • Diese Textstelle hat eine ähnliche Stelle im Alten Testament: Die „Susanna-Geschichte“ aus dem Buch Daniel erzählt von einer Frau, die von zwei Schriftgelehrten unrechtmäßig des Ehebruchs beschuldigt wird, weil diese selber gerne Ehebruch mit ihr begehen wollten, aber erfolglos blieben. Der Prophet Daniel konnte Susannas Unschuld beweisen und stellt damit den „Sieg der Gerechtigkeit“ deutlich heraus.
  • Mit der Textstelle von Johannes wird (nun) der „Sieg der Barmherzigkeit“ deutlich herausgestellt. Bei der Vergebung der Sünden wird sicherlich Reue und Einsicht des Sünders – als seine unerlässliche Mitwirkung –vorausgesetzt, um zur Vergebung durch Gott zu gelangen; doch hier wird wieder die allem zu Grunde gelegte und immer zuvorkommende „Barmherzigkeit Gottes“ alleine als wesentlicher „Basispunkt“ betont:
  • Wenn Jesus in den „windigen“ Sand schreibt, kann man das als Zeichen dafür interpretieren, dass jedes „geschriebene Gebot“ nicht viel wert wäre, wenn nicht Jesus, der Sohn Gottes, hinter allem stehen und wirken würde. Er ist die „Achse des Lebens“ und der „Freund (auch) der Sünder“.

Diese Textstelle verdient die Überschrift: Gott will nicht die Sünde; doch er liebt (trotzdem) den Sünder.