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Karfreitag 2023

von Pfarrer Thomas Gruber.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitchristen am heutigen Karfreitag,
sie ist wahrlich beeindruckend: diese Passionsgeschichte. Doch im Blick auf die ganze Geschichte kommt wieder die typische Karfreitagsfrage auf: Warum haben wir ein so grausames und gewaltsames Geschehen an der Schlüsselstelle unseres Glaubens? Warum eine solche „Blutrünstigkeit“ am Gipfelpunkt der sog. „Frohen Botschaft“. Im Studium sind wir Studenten bei der Behandlung dieser Frage auf einen Erklärungsversuch gestoßen, der wahrlich sehr interessant ist und den ich für heute einmal vorstellen möchte.

Ein gewisser Renè Gerard, der zunächst Atheist war, vertrat die Theorie, dass Gewalt und Religion fest zusammengehören. Nun, auch wenn diese Theorie nur eine Facette der Leidensgeschichte beschreibt, so lohnt es sich, dieser Theorie einmal zuzuhören. Sie besagt, dass dort, wo Menschen zusammenleben immer auch die Wurzel von Gewalt anzutreffen ist. Dort, wo Menschen Gemeinschaft haben, ist immer auch der Neid – die aggressive Neigung, mehr haben zu wollen als der andere – vorhanden.

Das menschliche Leben hat immer so etwas wie einen Bodensatz an böser Energie in sich drin. So wie in einem jedem Öltank im Keller ein Bodensatz an Schmutz und Dreck drin ist, so ist in jeder Gemeinschaft neben dem Treibstoff des Guten immer auch ein Bodensatz an Besitzgier, Aggression vorhanden. Ein Jeder will doch immer gierig mehr haben – oder zumindest nicht „benachteiligt“ sein. Von den Erfahrungen eines Kleinkindes, das auch immer eine gewisse Neigung nach dem Habenwollen hat, bis hin zu der Geldgier, die einst zur Finanz- und Wirtschaftskrise führte: Dieser üble Bodensatz ist nicht zu leugnen. Dieses aggressive „Ein jeder gegen jeden“, mündet immer in eine Spirale der Gewalt und sucht letztendlich aber immer nach einem Sündenbock, wo es nur noch gegen Einen geht, der dann gewaltsam zu einem „religiösen Opfer“ gemacht wird. Wenn es gegen Schwächere geht, dann tuen sich oft auch Feinde gerne zusammen, sagt eine alte menschliche Erfahrung.

Die Menschenopfer in so manchen Naturreligionen, aber auch die Sündenbockrituale im Judentum belegen solche Gedanken: Einem Bock wurden die Hände aufgelegt und wurde schließlich in die Wüste geschickt, weil er als Opfer alles Sündhafte auf sich nehmen musste. Alle Aggression der Menschen, die Lawinen von Gewalt und Gegengewalt münden in religiöser Form im sog. Sündenbock und somit wird Gewalt im Zaum gehalten. Damit wurde also in dieser Theorie von Renè Gerard behauptet, dass Gewalt und Religion wesenhaft zusammengehören.

Nun, liebe Schwester und Brüder, diese interessante Theorie hat nun mit dem Heutigen Tag eine noch interessantere Fortsetzung gefunden. Die wurde auch von Renè Gerard vertreten. Mitte der 50-iger Jahre wurde er auf Grund einer Krankheit Christ und in diesem Zusammenhang hat er seine sog. „Sündenbocktheorie“ christlich revidiert, also christlich gedeutet.

Der Sündenbock aller menschlicher Aggression, das Opferlamm allen Bodensatzes menschlicher Bosheit ist mit heute Gott selbst. Aus purer Liebe hat er das Menschsein angenommen, um sich in diesen Mechanismus der Gewalt „einzureihen“ („unterzuordnen“). Die Menschheit besteht aus den vielen Lawinen der Gewalt, die wieder neue Gewaltlawinen auslösen und Jesus, der Sohn Gottes, steht (somit bildlich) ganz unten und fängt alle Lawinen dieser Aggressionen auf. Aber nicht mehr mit Gegengewalt: Heute wird Gott selbst zum Bockwerk all dieser menschlichen Schwächen. Denn er macht in dieser Kette von aggressiven Taten nicht mehr mit. Er macht sich zum Opfer – und er als der Letzte in der Kette hört heute damit auf, nach den Regeln solcher Aggressionen weiterzumachen. In seiner Größe und Güte sagt er: „Nein! Ich lass mich auf dieses Sündenbockspiel nicht mehr ein! Bei mir hört das jetzt auf.“ Mit Jesus als den geopferten Gottessohn zieht Gott selber die Bremse im Zyklus der Gewalt.

Liebe Schwestern und Brüder am heutigen Karfreitag,
an dieser Ansicht von Renè Gerard ist was dran, auch wenn sie natürlich nur eine gewisse Seite des Erlösungsgeschehens beschreibt.

In uns allen ist menschliche Schwäche. Keiner ist dagegen gefeit, Aggressionen an einen Sündenbock weiterzugeben. Doch: Alle menschliche Schwäche endet bei Gott selber, der „Nein“ sagt zur Gewalt und sie auflöst in eine Liebestat oder Opfertat am Kreuz (je nachdem wie man sagen will). Es geht um das „Versöhnt Sein“ mit Gott und mit sich selbst.

Heute, liebe Schwestern und Brüder, ist also ein hoch historischer Tag, den wir jedes Jahr feiern. Die Spirale der Gewalt ist durchbrochen: Gott selbst hat eingegriffen. Er nimmt es in die Hand, steigt aus Liebe aus dieser Spirale von Gier und Gewalt aus und findet eine neue Lösung, die wir in drei Tagen feiern.

Amen.