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Meditation zum Emmaus-Evangelium

von Pfarrer Thomas Gruber.

Die Erscheinung Jesu auf dem Weg nach Emmaus
Und siehe, am gleichen Tag waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist. Sie sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte. Und es geschah, während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus selbst hinzu und ging mit ihnen. Doch ihre Augen waren gehalten, sodass sie ihn nicht erkannten. Er fragte sie: Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet? Da blieben sie traurig stehen und der eine von ihnen – er hieß Kleopas – antwortete ihm: Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als Einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist? Er fragte sie: Was denn? Sie antworteten ihm: Das mit Jesus aus Nazaret. Er war ein Prophet, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk. Doch unsere Hohepriester und Führer haben ihn zum Tod verurteilen und ans Kreuz schlagen lassen. Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde. Und dazu ist heute schon der dritte Tag, seitdem das alles geschehen ist. Doch auch einige Frauen aus unserem Kreis haben uns in große Aufregung versetzt. Sie waren in der Frühe beim Grab, fanden aber seinen Leichnam nicht. Als sie zurückkamen, erzählten sie, es seien ihnen Engel erschienen und hätten gesagt, er lebe. Einige von uns gingen dann zum Grab und fanden alles so, wie die Frauen gesagt hatten; ihn selbst aber sahen sie nicht. Da sagte er zu ihnen: Ihr Unverständigen, deren Herz zu träge ist, um alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben. Musste nicht der Christus das erleiden und so in seine Herrlichkeit gelangen? Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht. So erreichten sie das Dorf, zu dem sie unterwegs waren. Jesus tat, als wolle er weitergehen, aber sie drängten ihn und sagten: Bleibe bei uns; denn es wird Abend, der Tag hat sich schon geneigt! Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben. Und es geschah, als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach es und gab es ihnen. Da wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten ihn; und er entschwand ihren Blicken. Und sie sagten zueinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schriften eröffnete? Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück und sie fanden die Elf und die mit ihnen versammelt waren. Diese sagten: Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen. Da erzählten auch sie, was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach.

Lukas 24,13-35

Sie ist eine gerne gehörte Geschichte, die Geschichte von den Spuren im Sand. Sie ist vielen bekannt, da sie mehr ist als nur eine simple Erzählung.

Ein Mann bekommt von Gott das Versprechen, dass dieser ihn im Leben immer begleitet, dass er immer mit ihm geht. Am Ende seines Lebens begegnet der Mann nun im Traum Gott, und beide schauen zurück auf das Leben. Sie schauen auf die vergangenen Jahrzehnte und diese Zeit zeigt sich ihnen als ein gespurter Weg im Sand. Der Mann versuchte, die Zeit seines Leben zu deuten und sagte:
„Dort, wo es mir gut ging, dort, wo ich in der Schule gute Noten hatte, eine Familie gründen konnte und mir Geborgenheit und Liebe geschenkt wurden, dort sehe ich zwei Spuren, da warst du bei mir. Doch dort, wo ich arbeitslos war, wo meine Familie einer harten Belastungsprobe ausgesetzt war und sie zerbrach, wo Krankheit mich zermürbte, da sehe ich nur eine tiefe Spur im Sand, da war ich alleine! Da hast du, Gott, dein Versprechen nicht gehalten!“
Gott blickt daraufhin mit Schweigen auf die Spuren und bestätigte:
„Ja, ich habe dich begleitet, als es dir gut ging. Doch, so setzte er fort, dort, wo du am Boden warst, dort siehst du tiefere Spuren, wo nur noch einer ging. Da habe ich dich getragen.“

Liebe Schwestern und Brüder,
diese Geschichte von den „Spuren im Sand“ kommt in der Art und Weise, wie man sie verstehen kann, auch dem heutigen Evangelium, der Emmausgeschichte, sehr nahe. Sie ist nicht einfach nur eine Erzählung, die einmal passiert ist und nun nett nacherzählt wird. Sie ist eine Geschichte, die unser Leben beschreiben kann. Sie kann für einen jeden von uns wie ein persönlicher Lebenslauf ausgelegt werden. Auch die Erzählung von den beiden Jüngern, die Jesus auf ihrem Lebensweg begegnen, ist – wie die „Spuren-im-Sand“-Geschichte – wesentlich mehr als nur eine „nette“ Geschichte. Hier wird das Leben des Menschen in tiefer Art und Weise gesehen: Das Leben ist nicht nur ein Geborenwerden, in die Schule gehen, ein Heiraten und so weiter, bis wir dann wieder sterben. Also alles, was man in einem Bericht so aufschreiben könnte.

Wenn wir uns darauf einlassen, können wir im Glauben das Leben immer als ein von Gott begleitetes Leben sehen. Die Emmausgeschichte zeigt uns hier schon: Gott (aber) drängt sich nicht auf, ein Stück weit müssen wir ihn drängen. Gott lässt uns die Freiheit, unser Leben auch ganz anders zu sehen.

Die Jünger gehen am Ostersonntag sehr enttäuscht von Jerusalem nach Emmaus. Sie hatten von ihrem Leben etwas erwartet, sie setzten ihre Hoffnung auf einen, der sie glücklich machte, auf einen, der ihnen Ziele vor Augen stellte.

Auch wir Menschen heute können im Glauben sein wie diese Emmausjünger. Wem begegnen nicht die Enttäuschungen, das Leid, die Angst – alles, was einen leer macht?

Die Emmausjünger sehen ihr Leben sogar noch tiefer. Sie sprechen vom Alten Testament und meinen damit indirekt: Das ganze Leben ist wie das Alte Testament. Unsere Hoffnungen sind nicht nur 40, 50, 60 oder 70 Jahre alt, nein, wir hoffen auf eine Jahrtausende lange Geschichte Gottes mit uns Menschen. Wir Menschen haben ein tieferes und längeres Gedächtnis, als man nur an einem Menschenleben ablesen könnte. Jesus kommt jetzt hinzu und die Jünger waren wie mit Blindheit geschlagen.

Gott begleitet uns, ohne sich aufzudrängen. Und wir sehen ihn oft (auch) nicht. Wir bleiben in der Blindheit unseres Ärgers, in der Blindheit unserer Enttäuschungen oftmals stecken.

Jesus erklärt ihnen mit „Engelszungen“, dass das Alte Testament keine Unglücksgeschichte ist sondern dass alles so laufen musste. Das heißt, die Enttäuschungen, der Frust, das Auf und Ab, die Wüstenzeiten der Menschen, ja eines ganzen Volkes, das sich von Gott begleitet sah, gehören in das Leben hinein.

Gerade weil Gott sich nicht aufdrängt, wird uns das alles nicht erspart bleiben. Wenn es schon den Menschen des Alten Testamentes so ergeht, dann wird es uns nicht besser ergehen! Das Alte Testament ist auch wie ein großer Spiegel unserer gegenwärtigen Lebenswege; doch es ist kein hoffnungsloser Weg. Gott drängt sich nicht auf! Ja, wir müssten uns ein Stück weit aufdrängen.

Die Emmausjünger taten es. „Herr bleibe bei uns, denn es will Abend werden.“ Die Jünger sind wirkliche Vorbilder einer gewissen Offenheit. Sie haben nicht „zugemacht“, es drängt sie und später sagen sie selber: „Brannte uns nicht das Herz, als wir mit ihm redeten?“.

Gott begleitet auch uns, Gott redet auch mit uns, Gott trägt uns sogar, wenn wir nicht gleich „zumachen“, wenn wir unser Drängen nach ihm zulassen können. Was kann uns nicht alles diesen Blick für Gott kaputt machen? Der besagte Blick zu Gott ist natürlich anders, als man gerne meint. Gott zeigt sich nicht nur so einfach als einer, den man so ohne weiteres fotografieren könnte. Wer es so sieht, der hat sein Herz schon „zugemacht“.

Die Jünger sehen tiefer. Als Vertreter einer christlich kirchlichen Glaubensgemeinschaft vor 2000 Jahren erkennen sie ihn beim Brotbrechen. Um Gott zu sehen, braucht es ein sehr großes Vertrauen! Nur das Vertrauen in seinen Verstand alleine würde bedeuten: Nur bis zum Tod kann ich sehen, und dann sehe ich nichts mehr. „Mit großem Vertrauen sehen“ heißt, über den Rand des irdischen Todes hinausschauen.

Die Jünger von Emmaus haben das Vertrauen aufgebracht, Jesus im Brotbrechen zu sehen. „Brotbrechen“ ist ein riesiges Wort und kann sehr viel bedeuten. Das Brotbrechen ist eine Weise der gelebten Mitmenschlichkeit (und des „gerechten Teilens“) und zugleich kann es auch ein „Selber-gebrochen-werden“ bedeuten. Oftmals breche ich erst so richtig innerlich für Neues auf, wenn ich selber „gebrochen“ bin oder ein „Gebrochen-Sein“ erfahren habe. In der Medizin bricht man oft nochmals einen falsch verwachsenen Knochen, damit das Ganze gut zusammenwächst. Unsere Seele funktioniert auch so. Brotbrechen ist: Das „Mit dem Anderen Sein“ im Mitleiden, das „Gebrochen werden“ und „Neues erkennen“ (und nicht daran verzweifeln).

Das ist auch die Botschaft von Jesus, wenn wir ihn in der Hl. Messe feiern und ihn gegenwärtig werden lassen. Gerade dort findet sich alles wieder, was dieses Riesenwort „Brotbrechen“ bedeuten kann. In der Hl. Messe, mit dem Brotbrechen, verbinden wir uns mit Jesus. Er hat sich für uns am Kreuz „brechen“ lassen, und so hat er das Leben mit uns geteilt. Er kennt unser Leben und er bewegt uns dazu, auch unser Leben mit anderen zu teilen. Gott will uns immer nahe sein – und das besonders im „Brotbrechen“ der Heiligen Messe, in der Eucharistiefeier, wenn er als Brot zu uns kommt.

Können auch wir das Vertrauen der Emmausjünger aufbringen und uns von Gott so reich beschenken lassen?

Die „Spuren im Sand“ der Anfangsgeschichte sind ein Zeichen, dass Gott mitgeht, sogar und gerade dort, wo es am erdrückendsten erscheint. Da er sich nicht aufdrängt, lässt er uns Zeit. Wir müssen nicht, aber wir dürfen unser Leben immer als „begleitet“ sehen. Oft können wir es dann erst erkennen, wenn wir mit Vertrauen zurückschauen. Auch das dürfen wir uns von Gott schenken lassen.

Hoffentlich können wir später auch unsere derzeitige Krisenzeit in den Bildern des heutigen Evangeliums sehen.