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O Gott, sind wir noch zu retten?

von Pfarrer Thomas Gruber.

Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Ein Armer aber mit Namen Lazarus lag vor seiner Tür, der war voll von Geschwüre und begehrte sich zu sättigen von dem, was von des Reichen Tisch fiel, doch kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren.

Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben. Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß.

Und er rief und sprach:
Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme.

Abraham aber sprach:
Gedenke, Kind, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, du aber leidest Pein. Und in all dem besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüberwill, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.

Da sprach er:
So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual.

Abraham aber sprach:
Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören.

Er aber sprach:
Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.

Er sprach zu ihm:
Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.

Lukas 16,19-31

„O Gott, sind wir dann noch zu retten?!?“

So könnte man sich beim ersten Mal hören des soeben gehörten Evangeliums denken. Der Reiche kommt in die Hölle und der Arme in den Himmel – ganz kurz gesagt. Auch wenn wir hier bei uns gute „Hilfssysteme“ haben, die weltweit sozial ausgleichen, so weiß ich doch, dass wir hier auf der Sonnenseite unserer Erde leben. Wir sind klar die Reicheren, den Anderen auf der Welt geht es wesentlich schlechter.

„Selig die Armen, weh den Reichen“, sagt Jesus sehr streng im Lukasevangelium. Der Jesus im Lukasevangelium schaut gerne auf die gerechte Verteilung der Güter dieser Welt. Und wenn ich dann noch lese, was der Theologe Dietrich Bonhöfer über dieses Evangelium, sinngemäß, schreibt: Diese Worte von Jesus braucht man nicht spirituell überhöht – oder wie auch immer – auslegen, diese Worte darf man durchaus sehr wortwörtlich nehmen, kommt schon der Gedanke auf: O Gott, sind wir dann noch zu retten?

Wir im reichen Deutschland. Wo zwar auch nicht mehr alles „golden läuft“ – sicherlich, aber wo es uns doch wesentlich besser geht als in den meisten anderen Ländern dieser Welt? Wie ist das Evangelium heute gemeint? Müssen wir reichen Europäer nun um den Himmel fürchten? Auch wenn man weiß, dass da Jesus den reichen (und „selbstherrlichen“) Pharisäern von vor 2.000 Jahren ins Gesicht spricht, so schaut Jesus doch auch uns Menschen des 21. Jahrhunderts an.

Also! Wie meint Jesus das?

Um ein wenig zu beruhigen! Man ist sich bei den „Auslegern“ einig: Jesus macht hier keine definitive Beschreibung von Himmel und Erde. Eine richtige „Höllenpredigt“ will Jesus mit den heutigen Worten nicht machen! Er will uns auch nicht zu Tode erschrecken mit den ernsten Worten von Qual und Leid und dem unüberwindbaren Graben. Aber eines will er schon – sehr deutlich: Er will unsere Aufmerksamkeit, und die in jeglicher Hinsicht. Das Thema ist in einer gewissen Hinsicht eine „Soziale Aufmerksamkeit“.

Jesus wirbt generell für eine gewisse grundsätzliche „Aufmerksamkeit“. Einem sturen unsensiblen und sehr unaufmerksamen Verhalten (des Reichen eben) wird – im Evangelium – auch ein stures und fast genauso hartes Bild von der Ewigkeit gegenüberstellt. Der, der nicht ein wenig aufmerksam und barmherzig ist, der wird auch mit einem sehr harten und unbarmherzigen Bild von Himmel und Hölle konfrontiert. Aufmerksamkeit für das, was ist (wo Unrecht ist), ist ein Geschenk und hohe Verantwortung. Jesus möchte, um es eben mit einfachen Worten zu sagen, unsere Aufmerksamkeit für die Nächstenliebe. Denn die Nächstenliebe kann hier schon einen Himmel beginnen lassen. Jesus will uns unsere Augen öffnen.

Natürlich kann man nicht alles sehen. Jedes einzelne Leid in dieser Welt können wir nicht anschauen, das geht nicht. Gerade im Medienzeitalter, wo so viel auf uns einströmt, werden wir uns auch abgrenzen müssen, das steht außer Frage. Aber eine Grundaufmerksamkeit bleibt da um so wichtiger. Einfach ein grundsätzliches „Wachsein“, für das Unrecht und das Leid der Welt.

Diese Wachsamkeit verbindet uns mit dem Geschenk des Lebens; das abgestumpfte Verhalten des „Reichen“ (im heutigen Evangelium) schottet uns vom Leben nur ab. Der Arme aber bekommt im Text einen Namen (Lazarus); ein Zeichen, dass er mit seinem Namen auch „gesehen“ und dadurch „mit einem liebenden Blick“ begleitet wird. Auch Jesus war ja (grundsätzlich) aufmerksam für die Welt: Aufmerksam hat er die Welt betreten als kleines Kind und aufmerksam hat er die Welt durchschritten mit seinem Weg ans Kreuz, auch wenn er nicht alles Leid der Welt sofort geheilt hat.

Wir dürfen auch aufmerksam seine Auferstehung wahrnehmen. Denn wenn wir nur noch abgestumpft sind, dann geht es uns wie dem Reichen. Jesus vermutet ja am Ende des heutigen Evangeliums, dass die Brüder des Reichen für die Auferstehung Jesu keinen Sinn mehr haben, weil ihnen eben diese so wichtige „soziale Aufmerksamkeit“ fehlt.

Aufmerksamkeit heißt eben nicht, nur sein Gewissen zu beruhigen, wenn man etwas spendet. Aufmerksamkeit heißt nicht, sich nur daraufhin zu vertrösten, dass im Ewigen Leben dann alles seinen gerechten Ausgleich findet, sondern Aufmerksamkeit heißt im hier und jetzt dem Menschen nahe zu sein. Mit all seinen Kräften dem Menschen nahe zu sein, ist „aufmerksam sein“. Auch wenn wir nicht alles gleich ändern können, diese Nähe zum Menschen ist wichtig.

Als Beispiel kann man hier bei uns durchaus die Caritas sehen. Heute ist ja der Caritassonntag. Das Motto „Nah dem Nächsten“ hat sich Caritas gewählt, um bei den vielen Dingen zu zeigen, dass es um den Menschen selbst geht (wie man auf der Internetseite der Caritas sehen kann). Um zu zeigen, wo der Ausgangspunkt christlicher Nächstenliebe ist. Und der Ursprung unseres Tuns. Wir brauchen also nicht um den Himmel fürchten; er beginnt dort, wo wir aufmerksam am Nächsten dran sind. Amen.