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Große Osterpredigt am 4. April 2021

von Pfarrer Thomas Gruber.

„Entweder ich glaube an die Auferstehung oder mir bleibt nur der Selbstmord!“

Diese Worte wirken dramatisch und – in ihrer polarisierenden Ausdrucksweise – fast wie Hammerschläge in unseren Ohren am heutigen Osterfesttag. Sie sind aber nicht von einem freikirchlichen Fernsehprediger in einer Großraumhalle in Amerika gesprochen, der Tausende von Gläubige auf einem „Charismatischen Auferstehungs-Gottesdienst“ einschwört. Sie sind von einem der berühmtesten russischen Schriftsteller des 19. Jahrhundert überliefert, der gerade nicht dafür bekannt ist, ein glühender Christ gewesen zu sein.

Auferstehung oder Selbstmord?!“
Diese Worte werden von einem Schriftsteller überliefert, der eher von einer atheistischen Biographie begleitet wurde und der wegen vieler Enttäuschungen auch seine orthodoxe Kirche extrem kritisch gesehen hat.

Fjodor Dostojewski war ein sehr guter Beobachter psychologischer Zusammenhänge. Als ausgezeichneter Seelenkenner wurde er von großen Philosophen wie F. Nitzsche und J. P. Sartre sehr geschätzt. Er konnte sehr genau beschreiben, was die innerste Existenz der Menschen betrifft.

Auferstehung oder Selbstmord“.
Tiefschürfend sind sie diese Worte, – im Bild gesprochen – nicht, weil er mit den Augen den Herrn gesehen hätte, sondern weil sein Herz eine leise Ahnung der wahren inneren seelischen Wirklichkeit gehabt hat, weil sich sein Herz auch dem ganzen Leben als solches gestellt hat. Dieser Satz wird in dieser Predigt nun entfaltet.


Die Frage nach der Auferstehung, liebe Schwestern und Brüder, ist ja die „Gretchenfrage“ des Christentums. An ihr „hängt“ – in einem gewissen Sinn – der ganze Glaube an den lebendigen Gott. Schon Paulus hat es in seinem Korintherbrief deutlich gemacht: „Wenn es nicht die Auferstehung der Toten gäbe, für was wäre dann das Christentum denn gut?“ (vgl. 1 Korinther 15,14)

Es braucht keinen großen Kopf, es braucht keinen Intelligenzquotienten von über 100, es braucht nicht perfekt geschriebene Gebetsbücher, es braucht auch kein Glaubenssystem, das einem im Glauben einfängt und dann nahezu gefangen hält. Es braucht ein „inneres Organ“, das die Welt in neuem Licht sieht und so aus einer gewissen Dunkelheit befreit. So sah es der große Schriftsteller aus St. Petersburg. Denn dann ist „Auferstehung“ geschehen.

Die Grabkammer ist leer und Licht scheint heute morgen in diese Grabkammer.

Liebe Schwestern und Brüder, das ist heute der entscheidende Satz für unser Leben!
Unser Leben ist diese „Grab-Kammer“ und unser Leben kann im Dunkeln sein („vom Stein verschlossen“) oder im „Licht der Auferstehung“: äußerlich gleich – aber von einem gewissen seelischen Licht her gesehen – doch zwei ganz verschiedene Welten – heute am Morgen des Ostersonntag.

F. Dostojewski hat dies zugegebenermaßen für sich persönlich gesprochen – und dramatisch ausgedrückt.

Auferstehung oder Tod“ (er sagt Selbstmord): Eindeutige Indizien dafür sind seine großen Romane, weil er doch auch seine Hauptdarsteller in einem solchem „Neuen Licht der Auferstehung“ oder im Selbstmord hat enden lassen.

In seinem berühmten Kriminalroman „Schuld und Sühne“ hat er einen Hauptdarsteller, der für ihn von der Grabkammer des Todes in das Licht gehen darf: Rodion Raskolnikow, ein bitter armer und doch hochbegabter Jurastudent.

Raskolnikow tötet eine Frau, der er Geld schuldet. Dieses Geld braucht er zum Überleben. Er meint, das tun zu dürfen, weil er sich damit von einem Menschen rettet, der ihn egoistisch ausbeutet. Dieser Raskolnikow fühlt sich in einer Welt der Ungerechtigkeit und des sich „gegenseitigen Auffressens“, jedes Glück ist nur scheinbar und leer. Er hält sich selbst lange Zeit für einen besseren, für einen gerecht handelnden Menschen. Ja! Er (für sich gesehen) darf Selbstjustiz begehen, weil er die Ungerechtigkeit spüren kann und damit andere Menschen beseitigen darf, wenn sie sich wie ausbeuterisches Ungeziefer verhalten. (Übrigens: Auch Dostojewski war in seinen ersten Lebensjahren ein „Sozialrevolutionär“, der genauso dachte.)

Doch in dieser Sichtweise und mit dieser Tat kann Raskolnikows Herz nicht mehr ruhig leben. Sein Gewissen regt sich stark. Die Kriminaler können sein Verbrechen ihm zwar nicht nachweisen, aber er selber kapselt sich immer mehr aus dem Leben ab. Er wird immer seltsamer. Er, der die Welt von Egoisten befreien will, lebt selbst am Abgrund, ein selbstherrlicher Superegoist zu werden. Er spürt es und will – in Anbetracht der Ungerechtigkeiten dieser Welt – Selbstmord begehen, sich umbringen. Wie in einer Grabkammer „tot und dunkel“ fühlt er sich. Dann aber wendet sich das Blatt! Die Liebe zu seinem Mädchen Sonja kann ihn langsam aber sicher „aufbrechen“ – aus seinem sogenannten „Grabkammerdasein“.

Raskolnikow, der in seiner Grandiosität „die Welt verbessern“ will und dadurch eine harte seelische Schale um sich aufbaut, wird durch die „hingebende Liebe“ von Sonja, seinem Mädchen, aufgeweicht und langsam wieder mit Licht erfüllt.

Sicherlich, liebe Schwestern und Brüder, ist diese Liebe nur ein Gleichnis, ein Bild, ein Vergleich, eine Metapher für Auferstehung. Sicherlich ist diese Liebe nur ein Symbol von neuer Sinnerfüllung. Aber Dostojewksi verwendet durchweg Auferstehungsvergleiche aus der Bibel, um dieses neue Leben Raskolnikows in seinem Roman zu beschreiben.

Diese Liebe ist ein herrliches Bild für die Auferstehung selbst, für die Hoffnung und das Aufbrechen aus einer Selbstgefangenheit, – die sogar vom Selbstmord träumte.

Auferstehung oder Selbstmord“:
Dramatische Worte und sehr tiefschürfend. Ja, das sind sie!

Doch literarisch eingefangen – und psychologisch  „gehoben“ – neu entdeckt.

Eine echte lebensbejahende Liebe, ein „sich immer mehr Öffnen“ können (in das Vertrauen hinein), ist das Licht der Auferstehung, das in die Grabkammer unseres Lebens hineinscheint. Auferstehung verlässt „in sich selbst eingeschlossenes“ Leben und wird empfänglich für das Ewige Leben. Auferstehung ist Licht auch in unserem Leben!

Diese Worte haben ihre Grundlage heute im Evangelium. Neu geöffnet werden wir heute für das Ewige Leben.

Ein neuer Blick für uns in unsere Seele möge uns geschenkt sein:
Tomas Halik, ein Philosoph und Theologe der Gegenwart (und auch ein sehr guter Psychologe), beschreibt die Seele ebenfalls dramatisch und doch sehr klar:

Wenn ich nur in der „Grabkammer des Dunkels“ wäre, wäre die Welt nur noch ausschließlich ein „ES“ (wie eine Sache) für mich, meint er. Alles und alle würden für mich nur noch „Gebrauchsgegenstände“ sein. Alles möchte ich dann nur noch ermessen, beherrschen, als müsste ich immer der Herr über allem sein. Ein ständiger „Geber und Lenker“, ja fast wie Gott. So wie der Hauptdarsteller in Dostojewskis Roman, der zunächst auch über allem stehen wollte.

Aber im Licht der Auferstehung sehe ich immer auch schon das „DU“. Das ist mehr, sagt Halik. Der Andere ist eben kein Gegenstand und eben kein Es, den ich beherrschen müsste. Das DU ist ein immer großes Lebensgeheimnis. Wenn dieses Licht der Auferstehung, und wenn es mit echter Liebe in mein Leben hineinscheint, mich erreicht, werde ich bescheiden gegenüber dem Leben selber. Das Leben ist das Größte. Das Leben ist dann nicht einfach nur wie ein ES messbar und beherrschbar. Dort, wo die Auferstehung hinein scheint, ist das Leben immer ein geheimnisvolles Dasein.

Es ist groß, es ist nicht so leicht zu überschauen. Im Licht der Auferstehung zu leben, ist ein Geben und Empfangen. Das Licht der Auferstehung gibt unserer Seele meist schon Antrieb zum guten Leben.

Der große Theologe Hans Urs von Balthasar sagte einmal: Der echte Hunger nach Gerechtigkeit (und gute Tun) hat immer schon echte Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Daseins in sich. Das Leben ist nicht grundsätzlich beherrschbar, sondern erst einmal ein großes Geschenk, das ich empfangen darf.


Auferstehung oder Tod oder gar Selbstmord“.
Echt dramatisch bleibt dieser Satz, liebe Schwestern und Brüder – am heutigen Tag!

… und … alle, die jetzt nicht „so sehr“ mit der Auferstehung etwas anfangen können, … die es einfach nicht glauben können, sollen hier nicht verurteilt werden. Das ist mir wichtig zu sagen!

Die Auferstehung (und die Hoffnung darauf) ist eine riesige Größe, die unseren Verstand sprengt – ja! – Und doch(!): Unsere Seele braucht „die Auferstehung“ – im soeben beschriebenen Sinn – im seelischen Sinne.

Dostojewski übrigens, der große Seelenkenner, bleibt auch hier offen: Auch wenn seine Hauptfigur Raskolnikow durch die Liebe zu seinem Mädchen immer mehr aufgebrochen wird – heraus aus seiner engen Sichtweise, aus seiner psychologischen „Schale“, die ihn vom Leben abschirmt – hinein in ein lebendiges Leben! Ob dieser dann „zu Gott kommt“ und gläubig wird, lässt auch der große Schriftsteller offen. Zu groß ist ihm in seinem Roman dieses Geheimnis.

Auch Dostojewski hat selbst zunächst als Atheist über Jahre die Bibel studiert und sich langsam erst an das Christentum herangewagt und Glauben gewonnen. Doch auch er spürte dauerhaft: Gottes (öffnende) Liebe ist nicht festzuhalten!

„Maria! Halte mich nicht fest.“ ist ein sehr wichtiger Ausspruch Jesu heute zur Auferstehung. Wir können Gott und die Auferstehung nicht einfach so festhalten! „Und sie erkannten ihn und dann sahen sie ihn nicht mehr“. Das werden morgen auch die Emmausjünger wieder erfahren müssen (siehe Johannes 20,17 und Lukas 24,31)!

Der „Glaube an die Auferstehung“ ist wie eine besondere Blume, die schön blüht, wenn ich sie nur ansehe. Aber wenn ich sie berühren und pflücken will, schließt sie sich wieder. „Auferstehung“ (wie auch der Glauben an Gott überhaupt) geht nicht in der Haltung des Beherrschen- und Pflückenwollens, auch wenn diese Haltung in noch so bester Absicht ist. Gott und die Auferstehung sind ein Schatz, der nicht mit unserem alles beherrschen wollenden Verstand festgehalten werden kann.

Wenn Du Gott zu verstehen trachtest, findest Du ihn schon nicht mehr, sagt Augustinus. Doch wenn Du ihn einfach staunend anschaust und ihn einlässt, dann ist er ganz da.

Die Auferstehung ist ein Seelenschatz, der unendlich wertvoll ist und der in jedem Herzen jetzt schon Wohnraum hat. Dieser Wohnraum ist bei jedem vorhanden, egal wie er gerade darum weiß. Die „Auferstehung“ ist „Lebenslicht“, jetzt im Dasein und einst, wenn Gott uns ganz beschenken will.

Auferstehung oder Selbstmord?“: Die Antwort wäre einfach heute. +