Zum Inhalt springen

Schein oder Sein?

von Pfarrer Thomas Gruber.

Die Pharisäer als abschreckendes Beispiel
Er lehrte sie und sagte:
Nehmt euch in Acht vor den Schriftgelehrten! Sie gehen gern in langen Gewändern umher, lieben es, wenn man sie auf den Marktplätzen grüßt, und sie wollen in der Synagoge die Ehrensitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben. Sie fressen die Häuser der Witwen auf und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete. Umso härter wird das Urteil sein, das sie erwartet.

Die vorbildliche Witwe
Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein. Er rief seine Jünger zu sich und sagte:
Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hineingeworfen; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles hergegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.

Markus 12,38-44

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitchristen,
wenn ich mich selber persönlich an mein Studium der Philosophie zurückerinnere, muss ich feststellen, dass ich echt schon viel vergessen habe; zu viele Jahre liegt das jetzt schon zurück. Manche Dinge aus diesem Bereich allerdings vergisst man nie, weil sie einfach so wichtig sind. Eine Frage dieses Studienfaches trifft einen immer wieder an, weil sie einfach im Leben immer wieder vorkommt. Nämlich die Frage nach dem „Schein“ und dem „Sein“.

Schon die alten Philosophen in Griechenland haben, zu allererst der große Denkerpionier Platon, sich dazu große Gedanken gemacht. „So ‚vieles‘ scheint in ihrer Vielfalt und doch: auf das eine wahre Sein kommt es an.“ 

Diese Frage nach dem Schein und dem Sein ist nicht nur Theorie sondern alltägliche Praxis.

Da lernt man z. B. einen oder eine kennen und will ihn oder sie als Lebenspartner/in gewinnen; er oder sie scheint sehr hübsch und sympathisch; doch ist er oder sie auch zuverlässig und treu? „Schein oder Sein“?!

Da fragt der Chef beim Bewerbungsgespräch nach den Qualifikationen, und das Zeugnis scheint Gutes auszusagen; doch tragen die Qualifikationen (auf dem Papier) in Zukunft bei der Arbeit auch Früchte? „Schein oder Sein“?!

Da sucht man seine Freunde in der Schule oder/und im Leben. Sie scheinen bei geselliger Runde sehr umgänglich zu sein. Doch wenn es dann mal drauf ankommt, dass einer zu einem steht. Wie ist dann das wahre „Sein“? 

Ja! Die Frage nach Schein und Sein ist so gesehen die eigentliche Lebensfrage überhaupt. Es will doch ein jeder zum eigentlichen Sein vordringen, oder etwa nicht?

Sogar (vorher schon) angesprochener Philosoph Platon hat eigens ein Buch (einen Dialog) geschrieben, wo er sogar beim Thema „Schönheit“ bemerkt hat, dass sie nicht ohne dem „Sein“ auskommt. Denn was hilft einem der attraktivste Mensch in seinem äußeren Schein, wenn alles vergänglich ist. Und wenn dann noch der Charakter nicht stimmt, kann man allen „Schein“ wahrlich vergessen – weil dieser dann auch an Wert verliert.

Liebe Schwestern und Brüder,
heute hat das Evangelium auch die Frage nach dem „Schein“ und dem „Sein“ zum Thema. Heute hält sich Jesus im Markusevangelium im Tempel von Jerusalem auf; er befindet sich sozusagen in der „Herzkammer“ seines Wirkungskreises. Jetzt geht es um alles!

Und: Gott in seinem Sohn Jesus geht es um das „Sein“. Ganz bedingungslos. Der Schein der Pharisäer im Evangelium wird von Jesus heute in seiner ganzen Breite unter die Lupe genommen: Der Schein, die vielen Männer, die Oberschicht, die religiösen Fachleute, die Angesehenen, die vor den Menschen Reichen und Habgierigen, die scheinbar Religiösen und die Bewunderten werden dem Sein der armen Frau am Opferkasten im Tempel gegenübergestellt, die nur zwei kleine Münzen und doch alles einwirft: Sie, eine Frau, Unterschicht, einfache Fromme, nicht Beachtete, Arme und Freigiebige, im Herzen Religiöse und schließlich doch vor Gott dann Reiche.

Diese Gegenüberstellung ist eine Herzensfrage! Wie weit sind wir, wie schaut das bei uns aus? 

Sicherlich ist die heutige Stelle im Evangelium polarisierend. Da erinnere ich mich an Diskussionen viele Bibelgesprächsabende.  

In Reinkultur ist keiner auf der Welt: Jeder hat natürlich einen Schein („Jeder will gut ankommen“) und ein Sein in sich, und jeder sucht nach der richtigen Balance beider. Wie wirke ich und wer bin ich? Das ist immer eine berechtigte Frage meines bzw. unseres Lebens. 

Nur nach dem Schein zu leben, ist aber nicht das Ziel!

Das Sein „in seiner Bedürftigkeit“ wird von Gott hier im der Evangeliumsstelle  förmlich „gefordert“, um das Sein zu finden: Die Witwe heute im Evangelium – wie auch die Witwe in der heutigen Lesung – ist das „Sein“ in Reinkultur. Sie wird in ihrer Bedürftigkeit vor Augen stellt, damit man ihr ganzes Sein sieht. Ihr Gottvertrauen ist hier fast wie im „Reagenzglas“ vor uns. Und zeigt uns, wo Gott uns haben will: „Mit unserem ganzen Herzen bei ihm.“

Denn Gott selber hat ja auch sein ganzes Sein hingegeben. Mit seinem Tod am Kreuz.

Ich denke die Eucharistie, der Leib Christi, die Heilige Kommunion (Zeichen von Tod und Auferstehung Jesu)  machen diesen Gedanken so richtig gegenwärtig: Das Brot (die Hostie) ist nur ein kleiner Schein, der Anschein einer kleinen Brothostie wirkt wie „fast nichts“ vor unseren Augen; doch es will uns in der Eucharistie das ganze „Sein Gottes“ geschenkt werden. Vor den Menschen ist das nur wenig, aber vor Gott ist es alles. 

So können wir auch Gott begegnen, wenn diese Frage des Schein und das Seins in uns gestellt ist.

„Schein“ oder „Sein“?! Liebe Schwestern und Brüder, Gott will nicht nur scheinbar unser Vertrauen und unser Herz, sondern er will uns ganz, weil auch er sich ganz uns geschenkt hat.

Amen.