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Störfaktoren

von Pfarrer Thomas Gruber.

In jener Zeit sagte Johannes, einer der Zwölf, zu Jesus:
Meister, wir haben gesehen, wie jemand in deinem Namen Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt.

Jesus erwiderte:
Hindert ihn nicht! Keiner, der in meinem Namen Wunder tut, kann so leicht schlecht von mir reden.
Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.

Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört – amen, ich sage euch: er wird nicht um seinen Lohn kommen.

Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde.

Wenn dich deine Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab; es ist besser für dich, verstümmelt in das Leben zu gelangen, als mit zwei Händen in die Hölle zu kommen, in das nie erlöschende Feuer.

Und wenn dich dein Fuß zum Bösen verführt, dann hau ihn ab; es ist besser für dich, verstümmelt in das Leben zu gelangen, als mit zwei Füßen in die Hölle geworfen zu werden.

Und wenn dich dein Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus; es ist besser für dich, einäugig in das Reich Gottes zu kommen, als mit zwei Augen in die Hölle geworfen zu werden, wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt.

Markus 9, 38-43.45.47-48

Die (abschließenden) Worte des soeben gehörten Evangeliums schockieren zunächst; denn es klingt sehr nach Mittelalter, wenn es da um „Hand abhacken“, „Fuß abtrennen“ oder „Auge rausreißen“ geht. Diese Worte klingen ja abscheulich! Und lassen zunächst an eine menschenverachtende „Sonderordnung“ denken. Doch natürlich will Jesus nicht die Selbstverstümmelung – die christlich-jüdische Tradition hat immer die Unversehrtheit des Leibes an die oberste Stelle einer eigener Werteordnung gesetzt.

Der genaue Blick in das heutige Evangelium aus Markus macht deutlich, dass Jesus eben nicht auffordert, sich selbst Schaden zuzufügen. Es geht heute vielmehr darum, dass wir eben keinen Schaden erleiden. Der Blick auf eine bessere Bibelübersetzung will das klarmachen: Es heißt da, wenn dich etwas zum Bösen verführt, dann hau es ab! Doch besser übersetzt man da aus dem griechischen Originaltext: Wenn „jemand dich vom Glauben abbringt“, also „jemand deinem Glauben schadet“.

Die am Schluss des Evangeliums sehr drastisch klingenden Worte wollen verdeutlichen, dass jeder einen wertvollen Glauben in sich trägt – wenn auch jeder auf verschiedene und in je eigener, unverwechselbarer Weise. Jede(r) hat Glaube, und dieser Glaube ist in uns etwas sehr wichtiges. Es ist so, als würde Jesus sagen: Jeder Mensch ist mit einer Kompassnadel vergleichbar. Jede(r) hat eine Ausrichtung auf das Gute, und Gott schenkt uns durch Jesus ein Kraftfeld bzw. Magnetfeld für diese Ausrichtung.

Allerdings gibt es sehr viele Störfaktoren, die unseren Kompass negativ beeinflussen. Der Glaube, der von Gott in Jesus Christus ein einmaliges Angebot erfährt, braucht auch entschiedenen Schutz. Der Glaube ist in jeden Menschen „eingegeben“. Schon als neugeborenes Kind „glaubt“ ein(e) jede(r) an sich selbst (bevor man das Denken anfängt), um zu überleben. Und dieser Glaube wächst und darf in Gott immer sein Ziel sehen. 

Jesus, der im Evangelium das Kraftfeld einer von Gott gewollten Zielausrichtung ist, darf auch etwas drastischer formulieren: Der Glaube ist wichtiger als ein einzelnes Körperteil. Der Glaube steht für unser ganzes Leben. Der Glaube / das Vertrauen steht über allen anderen Dingen, so wichtig diese auch sind.

Man sagt doch: Was hilft es, wenn man viel Geld hat, aber alle seine Freunde damit verprellt? Was hilft es, wenn Du immer auf dein Recht beharren konntest, aber dafür niemanden mehr hast, der dir vertraut? Was hilft es, wenn man die ganze Welt gewinnt, aber dafür sich selbst verliert (das entspricht der Formulierung Jesu)?

Die Ausrichtung auf Gott hin ist im Evangelium immer auch ein Weg der Heilung, des Heiles, des Guten und der guten Zukunft. Allerdings ist es nicht ein Weg der bequemen Einfachheit! Es gehört für diesen Glauben auch immer das „Ganze des Lebens“ dazu. Da darf nichts ausgeblendet werden.

Im Markusevangelium ist das auch ein Dauerthema: Die Jünger verstehen Jesus nie, wenn er von seinem Leid, von seinem Tod und seiner Auferstehung spricht. Die Jünger wollen das nicht wahrhaben. Für sie gehört es nicht zum Glauben dazu, könnte man sagen. Doch Jesus widerspricht immer und immer wieder, wenn er vom Kreuz redet.

Der Glaube braucht auch die Erfahrungen des Kreuzes, also auch die leidvollen und schwierigeren Erfahrungen. 

Jesus sagt immer, direkt und indirekt, dass die leidvollen Erfahrungen eine große Herausforderung sind, die durchaus auch dem Glauben gewaltig schaden können. Doch die leidvollen Erfahrungen auszublenden, sie nicht wahrhaben zu wollen, ist nicht der Weg, den Jesus will. Wahren Glauben finden wir nur, wenn wir auch das Leid nicht ausblenden bzw. verdrängen. Im Gegenteil, Heilung geht nur über den Weg mit Jesus und mit seinem Kreuz. 

Jesus gibt uns auch einen guten Hinweis für unsere Seele, unsere Psyche: Leidvolle Erfahrungen zulassen zu können, heißt nicht hart oder gar verbittert zu werden. Den Weg des Glaubens zu gehen, sich in allen Widrigkeiten und im Leid – und sogar im Tod – zu bewähren, heißt nicht hart zu werden, sondern im Gegenteil: Jesus zeigt uns, dass jeder, der mit seinem Leid umzugehen lernt, auch eine gewisse Gelassenheit und Toleranz aufbauen kann.

Dazu hören wir im heutigen Evangelium von einem, der im Namen Jesu Gutes tut. Er heilt Menschen, er treibt Dämonen aus, aber er folgt den Jüngern nicht nach. Die Jünger sind, in ihrem Blick auf das Eigene und ohne Verständnis für das, was Jesus will, unsicher und intolerant – und wollen ihn somit nicht akzeptieren. Das Evangelium deutet an, dass Intoleranz seine Wurzel oft in der eigenen inneren Unsicherheit hat. „Ich weiß noch nicht genau Bescheid über das Meine (meine Kräfte, meine Identität).“ Die (noch) unverständigen Jünger sind auf der Suche nach den „abgrenzenden Dingen“, was sie aber im Ansatz zu Intoleranz hinführt.

Jesus weist auf den Glauben hin, der Kreuz und Tod schon im Blick hat. Damit kann Jesus auch die Gelassenheit aufbringen, dass einer ihm gar nicht nachfolgen muss, und doch Gutes tun kann. Jesus ermutigt uns zum Glauben, den er uns geschenkt hat. Der Glaube an ihn ist das Kraftfeld unseres Lebens.