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Suchen – Zuwenden – Bleiben

von Pfarrer Thomas Gruber.

Am Tag darauf stand Johannes wieder dort und zwei seiner Jünger standen bei ihm.
Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte:
Seht, das Lamm Gottes!

Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Jesus aber wandte sich um [besser übersetzt: „wandte sich ihnen zu“],
und als er sah, dass sie ihm folgten, sagte er zu ihnen:
Was sucht ihr?

Sie sagten zu ihm:
Rabbi – das heißt übersetzt: Meister – , wo wohnst du? [genauer übersetzt:“Wo bleibst du“? oder „Wo ist deine Bleibe?“]

Er sagte zu ihnen:
Kommt und seht!

Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde.

Johannes 1,35-39

Das Evangelium klingt wie eine „banale“ Berufungsgeschichte. Es ist aber – auf einer tieferen Ebene – eine gewisse Kurzbeschreibung unseres Lebens und damit auch unserer „innersten Seele“.

Wie bei einem Beipackzettel für ein Medikament kann man heute im Evangelium kurz „ablesen“, worum es im Leben geht – wenn man mal über das Ganze im Leben „drüberschaut“ und sich einen Überblick verschaffen will.

Reich an Begriffen, die großen Aussagecharakter haben, sind 3 Wörter herauszugreifen: Suchen, Zuwenden und Bleiben.

Suchen
Der Mensch ist eine „Suchbewegung“. In der Computersprache würde man etwas lapidar sagen „eine Suchmaschine“. Der Mensch kann vieles, ja fast alles erreichen, und doch sucht er noch. Der Mensch darf sich dies auch bewusst machen, sonst bricht er unbewusst zu oft aus dem Alltag aus und wird zu einer dauerhaften „Suchmaschine“ – und verliert treulos sich in immer neuen Abenteuern.  Paulus formuliert eine „Epektasislehre“: Damit drückt er aus, dass wir Gott erkennen, aber in diesem Erkennen uns immer nach ihn hin ausstrecken. Wir kommen nie zum Ziel, weil Gott unendlich ist. Wir sind endlich, aber wir haben irgendwie ein unendliches Verlangen; das passt zusammen.

Zuwenden
Unendliches Verlangen geht, wenn es etwas Unfassbares und Unaussprechliches gibt, das sich von sich aus berühren lässt, bzw. der sich berühren lässt.

Da ist Weihnachten das Stichwort: Wenn Gott Mensch wird, heißt das, Gott ergreift die Initiative und setzt sich mit uns in Verbindung. Das „Sich-zuwenden“ (gr. „strephein“) sollte man nicht nur einfach mit „Umkehren“ im Deutschen wiedergeben, weil man mit diesem Wort dann nur an eine „fromme Bewegung“ unsererseits denkt. Auch das Wort „Umdenken“ ist hier nicht die richtige Übersetzung, weil das wiederum zu moralisch klingt. Das griech. Wort „strephein“ ist eine Zuwendung Gottes. Im Johannesevangelium tut Jesus das oft (z. B. Joh 20). Mit der Zuwendung Gottes haben wir eine gewisse Antwort auf unser „Suchen“, indem auch wir uns ihm „zuwenden“ (und damit „umkehren“).

Bleiben
Dieses Wort ist ein Schlüsselwort. Oft heißt es: Die Liebe möge bleiben. Die Jünger fragen Jesus: „Wo bleibst Du?“, nicht gut übersetzt ist „Wo wohnst Du?“ „Wohnen“ ist zu ortsbezogen. Das Wort „Bleiben“ ist ein „sehr großes“ Wort. Denn es kann so viel aussagen. Wir sagen: „Das bleibt“, wenn etwas nicht aufhört und nicht gleich verdirbt. Wir sagen auch: „Wo bleibst Du?“ um andererseits auszudrücken, dass beim Wort „bleiben“ stets persönliche Erwartungen drinstecken und im ausgereizten Fall auch sehr viel Geduld von unserem ganzen „Personsein“ erfordert wird.

Das Bleiben der Liebe, die ja Gott ist und worin sich Gott immer noch am stärksten zuwendet, ist ein sehr weites Feld, das in 1000 Sätzen – und wenn sie noch so gut formuliert sind und erstklassig beschreiben – das Leben nie ganz einfangen kann. Wie kann man dem „Bleiben von Liebe“, also der Göttlichen Unendlichkeit“, in unserem so umgrenzten Leben überhaupt gewahr werden? Es gibt unendlich viele und doch irgendwie keine einzige Beschreibung, die alles völlig umfassend einfängt. Wie kann ich den „Glauben“ (ähnlich der Liebe) einfangen?

Ein möglicher Versuch ist unser Gottesdienst als Ritus. Unser Kardinal hat jüngst in einem Brief an uns Seelsorger geschrieben, dass der große zeitgenössische Philosoph Jürgen Habermas den Ritus, also die Rituale, sehr hervorgehoben hat. Im Ritus berührt sich das Unendliche und Unfassbare doch in gewisser Weise mit uns endlichen Wesen. Der Ritus hat den Charakter des „Bleibens“ in sich. Er bleibt, er formt, er versucht einzufangen, aber er fordert auch Geduld – weil er manchmal auch „langweilt“ und ein strenges Durchhalten erwartet. Und alles hat doch auch mit Liebe zu tun.

Liebende zeigen ihre Liebe in Ritualen, sagt ein Kalenderspruch. Bleiben wir in der Treue zu den Gebeten und Gottesdiensten, also auch zu den Ritualen, mit dem Unendlichen in Berührung. Dann hat unsere Seele auch was davon. Gott will mit uns in Verbindung bleiben.

Amen.