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Das goldene Kalb und der verlorene Sohn

von Pfarrer Thomas Gruber.

Da sprach der HERR zu Mose:
Geh, steig hinunter, denn dein Volk, das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast, läuft ins Verderben. Schnell sind sie von dem Weg abgewichen, den ich ihnen vorgeschrieben habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht, sich vor ihm niedergeworfen und ihm Opfer geschlachtet, wobei sie sagten: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben.

Weiter sprach der HERR zu Mose:
Ich habe dieses Volk gesehen und siehe, es ist ein hartnäckiges Volk. Jetzt lass mich, damit mein Zorn gegen sie entbrennt und sie verzehrt! Dich aber will ich zu einem großen Volk machen.

Mose aber besänftigte den HERRN, seinen Gott, indem er sagte:
Wozu, HERR, soll dein Zorn gegen dein Volk entbrennen, das du mit großer Macht und starker Hand aus dem Land Ägypten herausgeführt hast. Denk an deine Knechte, an Abraham, Isaak und Israel, denen du selbst geschworen und gesagt hast: Ich will eure Nachkommen zahlreich machen wie die Sterne am Himmel, und: Dieses ganze Land, von dem ich gesprochen habe, will ich euren Nachkommen geben und sie sollen es für immer besitzen.

Da ließ sich der HERR das Unheil reuen, das er seinem Volk angedroht hatte.

2.Mose 32,7-11.13-14

Alle Zöllner und Sünder kamen zu ihm, um ihn zu hören. Jesus sagte:

Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere von ihnen sagte zu seinem Vater: Vater, gib mir das Erbteil, das mir zusteht!

Da teilte der Vater das Vermögen unter sie auf. Nach wenigen Tagen packte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land. Dort führte er ein zügelloses Leben und verschleuderte sein Vermögen. Als er alles durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er begann Not zu leiden.

Da ging er zu einem Bürger des Landes und drängte sich ihm auf; der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. Er hätte gern seinen Hunger mit den Futterschoten gestillt, die die Schweine fraßen; aber niemand gab ihm davon.

Da ging er in sich und sagte: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Brot im Überfluss, ich aber komme hier vor Hunger um. Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner! Dann brach er auf und ging zu seinem Vater.

Der Vater sah ihn schon von Weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Da sagte der Sohn zu ihm:
Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.

Der Vater aber sagte zu seinen Knechten:
Holt schnell das beste Gewand und zieht es ihm an, steckt einen Ring an seine Hand und gebt ihm Sandalen an die Füße! Bringt das Mastkalb her und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein. Denn dieser, mein Sohn, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.

Und sie begannen, ein Fest zu feiern. Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld. Als er heimging und in die Nähe des Hauses kam, hörte er Musik und Tanz. Da rief er einen der Knechte und fragte, was das bedeuten solle. Der Knecht antwortete ihm:
Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das Mastkalb schlachten lassen, weil er ihn gesund wiederbekommen hat.

Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber kam heraus und redete ihm gut zu. Doch er erwiderte seinem Vater:
Siehe, so viele Jahre schon diene ich dir und nie habe ich dein Gebot übertreten; mir aber hast du nie einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.

Der Vater antwortete ihm:
Mein Kind, du bist immer bei mir und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber man muss doch ein Fest feiern und sich freuen; denn dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden.

Lukas 15,1.11-32

Liebe Schwestern und Brüder, auch heute ohne lange Einleitung und Umschweife darf ich gleich auf die Texte des heutigen Tages eingehen.

Wir haben sie gerade wieder gehört, die Geschichte vom „Verlorenen Sohn“ und dem „Barmherzigen Vater“, eine der wohl bekanntesten Geschichten des Neuen Testamentes, und in der Lesung hörten wir vom Goldenen Kalb, das sich die Israeliten auf ihrer Wüstenwanderung – quasi in ihrer Verblendung – machten, und es anbeteten und den Zorn Gottes erweckten. Auch diese Geschichte gehört zu den bekanntesten Bildmotiven, die viele Menschen – auch die mit der Bibel nicht so vertraut sind – kennen.

Die Verbindung, also die Kombination, der beiden Geschichten darf heute mal das Thema sein. Kurz und bündig sind diese beiden sehr vertrauten Geschichten heute in den vergangenen Minuten aneinandergereiht.

Es darf auch jetzt einige Minuten noch einmal in Anspruch nehmen, das eine und das andere vertiefter – in einem gewissen Punkt – gegenüberzustellen.

Die Geschichte des „Goldenen Kalbes“ beschreibt das Volk Israel, das für einen Augenblick Mose nicht mehr sieht; denn er ist auf dem Berg Horeb und bekommt von Gott die 10 Gebote auf Steintafeln ausgehändigt. Gott war ja ohnehin nicht sichtbar; denn Mose war der ständige Vermittler. Und jetzt ist er, Mose, auch mal für eine gewisse Zeit nicht da. Was macht nun der Mensch, welchen die Israeliten repräsentieren? Wenn er die Orientierung verloren hat. Er sucht sich neue Götter. „In seiner Freiheit neigt er dazu, die Sache selber in die Hand nehmen zu wollen“, so sagte Martin Buber sehr treffend, „man muss sich sein Bild machen und dann wird die Kraft Gottes in das Bild fahren und man wird die richtige Führung haben“. Dass der Mensch, der sich ohne Gott fühlt, sich Götzen, namentlich „Goldene Kälber“ macht, ist ein altes Bildmotiv. Ich kann mich an meinen eigenen Schulunterricht erinnern, wie das „Goldene Kalb“ an die Tafel gezeichnet war, um damit auszudrücken, wenn man Gott vergisst, wenn er keine echte Bedeutung mehr im Leben hat, und dann die Götzen, wie immer sie heißen, seelische Macht über den Menschen gewinnen.

Nur um ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte ganz wahllos herauszugreifen: Bei der Finanzkrise 2008, als so einige mit unehrlichen Methoden Geld zu vermehren suchten, ist alles zusammengebrochen, und wie oft hörte ich im Fernsehen Kommentare, dass jetzt der „Tanz um das Golden Kalb“ vorbei ist. Der Mensch kann sich in seiner Freiheit von Gott entfernen, obwohl er gerade seine Freiheit doch braucht, um sich in Liebe Gott zu nähern.

Augustinus formuliert den Sachverhalt etwas pessimistischer: „Der Mensch in seiner Freiheit steht zwangsläufig auch vor einer Endlichkeit und seinen Sünden. Er braucht die Hilfe Gottes immer wieder!“

Das Evangelium von heute ist in gewisser Weise hier die Antwort – für diese Hilfe Gottes. 

In der Lesung selber wird uns noch ein etwas verschwommenes Bild – in sehr menschlich eingetrübter Erzählweise – von Gottes Hilfe vor Augen gestellt: Mose muss da wie ein Anwalt bei Gott um Gnade bitten, damit Gott in seinem Zorn nicht „zuschlägt“, und interessanterweise packt Mose Gott hier bei seinem Ehrgefühl und nicht in seiner Eigenschaft als der Barmherzige. 

Gott, der Barmherzige kommt erst bei Jesus, dem „Neuen Mose“ und eigentlichen Vermittler der Liebe Gottes ganz deutlich zum Vorschein.

Gott als der „Barmherzige Vater“ wirft dem „Verlorenen Sohn“ – für uns schon fast hemmungslos wirkend – seine Barmherzigkeit entgegen, um diesen von seiner Gottferne wieder zurückzuholen.

Der jüngere Sohn ist ein Stück weit ein Bild für den Menschen und sein „Goldenes Kalb“. In seiner Freiheit will er ohne seinen Vater die Welt gestalten. Er will leben, was er ja darf! Doch er scheitert. Und er merkt, dass es ohne den Vater nicht geht. Es braucht die Reue und die Umkehr. 

In einem ersten Schritt ist diese Umkehr zunächst eigennützig, das darf man zugeben. Der Sohn kehrt zum Vater zurück, damit er wieder etwas zu Essen hat. So darf man das sicherlich verstehen. Doch Gott will mehr. Der Barmherzige Vater wirft sich dem Verlorenen Sohn um den Hals und wirbt mit allem um eine echte Umkehr, um das echte liebevolle sich Gott Zuwenden. Verkürzt gesprochen: Gott will der Fähigkeit, „Goldene Kälber“ anzubeten, mit seiner Barmherzigkeit begegnen und damit siegen.

Das ist ein sehr herausfordernder Weg, um das zu schaffen. Dazu braucht es auch eine wirklich innerliche Verwandlung. Die Gottferne von uns Menschen will Gott mit seiner Barmherzigkeit besiegen. Aber natürlich braucht es diese Umkehr, und zugleich schafft Gottes Barmherzigkeit erst diese Umkehr. 

Der ältere Sohn steht in dieser Sichtweise für die Unbeweglichkeit. Sicherlich denkt dieser sehr gerecht und er steht wie der Puhmann da; doch er hat keinen Sinn für diese Methode. Der ältere Sohn wird dadurch auch eine Figur der Kälte und Selbstgerechtigkeit. Auch das könnte ein „Goldenes Kalb“ in uns sein, wenn ohne Liebe gelebt wird. Doch Gott bleibt „unerbittlich“: Er will unsere Umkehr durch seine Barmherzigkeit.