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Keine Angst mit deinen Talenten!

von Pfarrer Thomas Gruber.

Wie ist das Himmelreich?

Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging. Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab.

Sofort ging der Diener, der die fünf Talente erhalten hatte hin, wirtschaftete mit ihnen und gewann noch fünf weitere dazu. Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei weitere dazu. Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn.

Nach langer Zeit kehrte der Herr jener Diener zurück und hielt Abrechnung mit ihnen.

Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte:
Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen.

Sein Herr sagte zu ihm:
Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn!

Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte:
Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen.

Sein Herr sagte zu ihm:
Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn!

Es kam aber auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte:
Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mensch bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Sieh her, hier hast du das Deine.

Sein Herr antwortete und sprach zu ihm:
Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. Du hättest mein Geld auf die Bank bringen müssen, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. Nehmt ihm also das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! Denn wer hat, dem wird gegeben werden und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.

Matthäus 25,14-30

Die Geschichte mit den Talenten gehört zu den bekannteren Erzählungen aus dem Evangelium. Sie steht bei Matthäus in der sogenannten Endzeitrede, die jetzt im November in der Gottesdienstordnung der katholischen Kirche auf der ganzen Welt wieder an der Reihe ist. Damit wird deutlich, was wirklich wichtig ist, worauf es ankommt.

Die Geschichte von den Talenten, die der Herr den Seinen überlässt, gilt uns. Zwei Diener können die überlassenen Talente verdoppeln, der dritte Diener vergräbt es.

Zwei Aussagen möchte ich dazu machen, ja es könnten hier sogar zwei Predigten daraus werden; doch ich versuche die beiden Aussagen auf das Wesentliche zu beschränken, damit ich im Rahmen bleibe.

Die erste Aussage betrifft den Dritten, der sein Talent vergräbt. Das gibt am Ende des Evangeliums dem Gleichnis leider einen sehr düsteren Ton, ja fast ein depressives Bild. Der ängstliche Diener wird bestraft, und zunächst findet man es auch noch schrecklich ungerecht, wenn der erste Diener mit den zehn Talenten dann dieses eine Talent vom dritten noch dazu bekommt. Doch hier hilft genaues Hinschauen!

Hier ist nicht der Herr ungerecht, sondern hier wird eine subjektive Wahrnehmung des dritten Dieners beschrieben. Was will das heißen? Er vergräbt nicht nur sein Talent, sondern irgendwie vergräbt er damit auch seine ganze Seele, also sein ganzes Herz. Er vergräbt sich in seinem Schneckenhaus und nimmt alles nur noch durch die Brille eines Ängstlichen wahr.

Er sieht nur noch einen Gott, der Leistung erwartet und der sich rächt, wenn man versagt. In dieser Welt muss man nur noch auf die eigene Sicherheit achten. Das führt zu Unvernunft und rücksichtslosem Egoismus. In einer solchen Sichtweise herrscht meist nur noch Ungerechtigkeit, weil niemand mehr Vertrauen hat und alle nur noch ihren eigenen Vorteil suchen.

Diese Welt ist dann real, wenn der dritte Diener Recht bekommt. Und zu oft ist diese Welt auch Wirklichkeit, wenn der letzte Lebenssinn von einem „Gott“ (Letztsinn, Richter und Letztendscheider) bestimmt ist, der so ist, wie es der dritte Diener in seiner subjektiven Wahrnehmung wissen will.

Liebe Schwestern und Brüder,
auch wenn wir in einer unvollkommenen Welt immer auch von Leistung, von Neid, von Egoismen und von Angst getrieben werden – eben weil die „Geschaffene Welt“ nicht vollendet und perfekt ist – so haben wir doch einen Gott, der den Letztsinn nicht in all diesen Dingen sieht.

Wenn Jesus heute in der Endzeitrede dieses Gleichnis erzählt, will er uns Wichtiges und Grundsätzliches sagen. Er will damit deutlich machen: „Folgt nicht dem Trugbild, das der dritte ängstliche Verwalter zu seinem letzten Lebenssinn erkoren hat“. Wenn man die Welt nur negativ sieht, wird das Leben negativ, aber wenn ich sie positiv sehe, dann wird sie wirklich schön!

Gott schenkt uns Talente. Damit soll das düstere Bild aufgehellt werden; denn das ist die Hauptaussage des heutigen Evangeliums: Gott schenkt uns viele Talente, Begabungen, Fertigkeiten, Leidenschaften. Viele Eigenschaften, die in dieser Welt sehr  hilfreich sind. Und wir dürfen alle diese Eigenschaften annehmen.

Doch das höchste Talent ist die Fähigkeit, Ängste überwinden zu können. Die größte Summe der Talente ist die Fähigkeit, Vertrauen aufzubauen, weil es einen Gott und Herrn gibt, der nicht Rache, der nicht Leistung und Vergeltung einfordert am Ende der Tage.

„Hättest du Dein Talent wenigstens auf die Bank gebracht“, sagt der Herr für die angstbestimmten Ohren des furchtsamen dritten Verwalters. Doch in Wirklichkeit will Jesus nur sagen:

Nutze Dein Talent, in Gott Dein Vertrauen zu setzen. Du darfst Fehler machen, Gott wird keine Rache einfordern. Wenn Strafe folgt, dann ist es eben ein Ergebnis dieser begrenzten Schöpfung. Doch: Lebe Dein Leben ohne die Angst, Deine Leistung nicht erbringen zu können. Lebe Dein Leben, ohne mit Neid immer auf den Anderen schauen zu müssen. Denn Dein Leben selbst ist einzigartig und wertvoll. Ganz egal, ob Du von mir ein, zwei, fünf, zehn, fünfzehn, zwanzig oder weiß Gott wie viele Talente bekommen hast. Du hast mein Vertrauen, dass Du etwas daraus machst. Lebe dein Leben in der Freiheit von dem harten Gesetzes des Erfolgs, auch wenn dieses Gesetz des Erfolges hier auf Erden vorläufige Geltung hat.

Anselm Grün

Man könnte sagen: Schon der Heilige Paulus, unser größter Theologe des Neuen Testamentes, hat diese Erkenntnis als das Eigentliche des Glaubens erkannt: Nicht aus dem Gesetz heraus, das man streng erfüllen muss, entsteht der gute Glaube, sondern aus der Gnade heraus, dass wir einen Gott haben, der uns vertraut mit all unseren Talenten. Unsere Schöpfung hat immer mit der Angst (um unser Leben) zu kämpfen. Würde die Sichtweise des Ängstlichen gewinnen, sähe es düster aus – wir hätten „äußerste Finsternis“.

Wenn Vertrauen und die Überwindung von Angst immer das Ziel ist, dann geschieht das „Leben in Fülle“, wie es der Evangelist Johannes im Kapitel 10 auch verspricht. Das Leben in Fülle bedeutet, leben aus Mut und Zuversicht, leben für den Anderen, für die Gerechtigkeit mit immer wieder notwendigen Veränderungen.

Die Theologin Dorothee Sölle hat dieses Vertrauen und diesen Mut sehr „scharf“ zusammengefasst, in einem Glaubensbekenntnis, das uns „herausrufen“, ja „provozieren“ (wortwörtlich für „herausrufen“) will, heraus aus der Ängstlichkeit und aus unnötigem Egoismus:

Ich glaube an Gott
der die Welt nicht fertig geschaffen hat
wie ein Ding das immer so bleiben muss
der nicht nach ewigen Gesetzen regiert
die unabänderlich gelten
nicht nach natürlichen Ordnungen
von Armen und Reichen
Sachverständigen und Uninformierten
Herrschenden und Ausgelieferten
[…]
Ich glaube an Jesus Christus
der aufersteht in unser Leben
dass wir frei werden
von Vorurteilen und Anmaßung
von Angst und Hass
und seine Revolution weitertreiben
auf sein Reich hin
[…]
Ich glaube an den Geist
der mit Jesus in die Welt gekommen ist
an die Gemeinschaft aller Völker
und unsere Verantwortung für das
was aus unserer Erde wird.
[…]
Ich glaube an den gerechten Frieden der herstellbar ist
an die Möglichkeit eines sinnvollen Lebens
für alle Menschen
an die Zukunft dieser Welt Gottes. Amen.

Dorothee Sölle / Fulbert Steffensky (Hg.): Politisches Nachtgebet in Köln. Bd. 1. Stuttgart: Kreuz / Mainz: Grünewald 1971, S. 26-27