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Gottes- und Nächstenliebe

von Pfarrer Thomas Gruber.

In jener Zeit ging ein Schriftgelehrter zu Jesus hin und fragte ihn:
Welches Gebot ist das erste von allen?

Jesus antwortete:
Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzemHerzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.

Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm:
Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du gesagt: Er allein ist der Herr, und es gibt keinen anderen außer ihm, und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer. 

Jesus sah, dass er mit Verständnis geantwortet hatte, und sagte zu ihm:
Du bist nicht fern vom Reich Gottes.

Und keiner wagte mehr, Jesus eine Frage zu stellen.

Markus 12,28b-34

Ich glaube, viele kennen folgende Geschichte – zumindest in Variationen – schon; doch für alle, die sich nicht mehr daran erinnern oder sie noch nicht gehört haben:

Ein sehr frommer Pfarrer bekam von Gott im Traum das Versprechen, dieser werde ihn in allen Notlagen immer retten. Egal, was passiert, im Gebet dürfe er der schützenden Hand Gottes immer sicher sein. Und es ließ auch nicht lange auf sich warten, dass Gott sich mit diesem seinem Versprechen bewähren durfte. Denn es kam schon bald ein gewaltiges Hochwasser daher, was den Pfarrer zwang, sein Haus nicht mehr zu verlassen. Die Feuerwehr mit ihren Fahrzeugen hätte ihn gerne mitnehmen wollen; doch er winkte ab und sagte: „Ich brauch euch nicht. Ich bete, und Gott hilft mir schon.“ Doch das Wasser stieg dramatisch an. Da musste er in den ersten Stock fliehen, und das Technische Hilfswerk kam mit dem Schlauchboot daher; doch er ließ sich auf die Hilfe nicht ein, weil er auf Gott betend wartete. Schließlich musste er auf´s Dach, und der Katastrophenschutz schicken nur für ihn einen Hubschrauber, da er doch jetzt endlich Einsehen haben müsse. Doch „Nein“! Eisern im Gebet verharrend wartete er auf Gott und – er ertrank. Im Himmel nun stürmte er auf Gott zu und machte ihm große Vorwürfe, weil dieser doch sein Versprechen nicht gehalten hatte. Worauf Gott ihm gelassen entgegnete: „Wieso!? Ich hab´ Dir doch 3 mal jemanden geschickt! Aber wenn Du nicht willst, was kann ich dann noch machen?!“

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gottesdienstteilnehmer! Der „überaus fromme“ Pfarrer musste erkennen, dass „Gottes- und Nächstendienst“ sehr eng zusammenliegen können – dass „Nächstendienst“ auch in einer ganz gestimmten Form „Gottesdienst“ ist.

Zu diesen Gedanken passen auch die Worte desobenstehenden Evangeliums sehr gut. Die Stelle ist ja nicht ganz unbekannt: „Was ist das wichtigste Gebot?“ wird Jesus da gefragt. Und Jesus antwortet klar: „Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.“

Das Wesentliche ist die Gottes- und die Nächstenliebe.Sie ist der Kern eines – ja des – „Christlichen Lebens“. Auf diesen zwei Säulen (Beinen) steht unsere christliche Existenz. Zwei Beine sind es, auf denen wir stehen. („Auf oan Haxn sted ma ned“ könnten wir zu diesem Aufruf Jesu auf gut bayrisch sagen, wobei der Spruch natürlich aus einen anderem Zusammenhang stammt).

In der Geschichte vom Anfang hat der „fromme“ Pfarrer ein Standbein wohl vergessen, als er vor lauter „Gottesliebe“ den Einsatz der „Nächstenliebe“ nicht mehr gesehen hat. Gottesliebe ohne Nächstenliebe macht einen zu einem „weltfremden Eigenbrödler“ oder gar zum „bigotten Spinner“. 

Aber auch umgekehrt: Die Nächstenliebe braucht das Standbein der Gottesliebe. Nächstenliebe ohne Gott, Gebet und Gottesdienst ist – wie auch das andere – nicht machbar. Oft sagen ja viele: „Ich brauch keinen Gott, kein Gebet und keinen Gottesdienst. Ich helfe dem Nächsten! Das genügt.“ Mein ehemaliger evangelischer Amtskollege pflegte zu dieser Aussage einmal zu sagen: „Gottes- und Nächstenliebe gehören zusammen wie beim Auto das Fahren und das Tanken, und da kann man auch nicht sagen, mir reicht nur das Fahren, Tanken braucht´s nicht.“

Nächstenliebe ohne Gottesliebe verleitet sehr leicht dazu, zu einem seelischen „Eigenbrödler“ zu werden. Nächstenliebe ohne Gottesliebe verleitet sehr leicht, die Tiefe zu Gott und zu sich selbst nicht mehr richtig suchen zu wollen, vor irgendwas davon laufen zu wollen, und sich damit nach Möglichkeit nur noch in einer gewissen gesellschaftlich anerkannten Oberflächlichkeit aufhalten zu wollen.

Ein Auto ohne Treibstoff fährt zum Schluss nur noch bergab, und unser Leben und letztendlich unsere Gesellschaft läuft ohne gelebte Gottesliebe auch nur noch „so dahin“. Hand aufs Herz: Wollen wir gesellschaftlich offen gelebte Oberflächlichkeit?

Es liegt an einem jeden von uns, Gottes- und Nächstenliebe auch zu leben.

Gottes- und die Nächstenliebe: Sie werden von Jesus für unser Leben als die zwei Standbeine im Evangelium vorgeschlagen.

Ich möchte schließen mit einem schönen Text aus dem 14. Jhdt., der nicht ganz unbekannt ist und auch eine wunderbare Zusammenfassung von Gottes- und der Nächstenliebe im „ehrenamtlichen Dienste“ sein kann: Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um seine Arbeit zu tun. Er hat keine Füße, nur unsere Füße, um Menschen auf seinen Weg zu führen. Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen, um Menschen von ihm zu erzählen. Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe, um Menschen bei zu stehen und an seine Seite zu bringen.