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Spannungen

von Pfarrer Thomas Gruber.

Da begann er, ihnen darzulegen:
Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.

Alle stimmten ihm zu; sie staunten über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund hervorgingen, und sagten:
Ist das nicht Josefs Sohn?

Da entgegnete er ihnen:
Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Wenn du in Kafarnaum so große Dinge getan hast, wie wir gehört haben, dann tu sie auch hier in deiner Heimat! Und er setzte hinzu: Amen, ich sage euch: Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt. Wahrhaftig, das sage ich euch: In Israel gab es viele Witwen in den Tagen des Elija, als der Himmel für drei Jahre und sechs Monate verschlossen war und eine große Hungersnot über das ganze Land kam. Aber zu keiner von ihnen wurde Elija gesandt, nur zu einer Witwe in Sarepta bei Sidon. Und viele Aussätzige gab es in Israel zur Zeit des Propheten Elischa. Aber keiner von ihnen wurde geheilt, nur der Syrer Naaman.

Als die Leute in der Synagoge das hörten, gerieten sie alle in Wut. Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, und wollten ihn hinabstürzen. Er aber schritt mitten durch sie hindurch und ging weg.

Lukas 4,21-30

Die Predigt heute ist sozusagen noch eine kleine, aber sehr wichtige Fortsetzung der letzten Predigt von vergangenem Sonntag. Da habe ich nämlich noch etwas Wichtiges vergessen.

Letzten Sonntag wurde ja kurz berichtet, was die theologischen Grundzüge im Lukasevangelium sind. Die Geschichte der Welt und somit die Geschichte der Menschen/Menschheit ist immer eine Geschichte, die von Gott begleitet gesehen wird. Mit Jesus geht der versöhnende Wille Gottes mit uns mit, im Alten Testament hat er uns schon – in anderer Form – begleitet und nach der Auferstehung und Himmelfahrt Jesus begleitet er durch seinen Heiligen Geist weiter: Gott will uns Heilung schenken und er führt uns immer auf den Weg der Wahrheit, die am Ende auch immer gewinnen wird.

Heute habe ich noch einen Nachtrag zu machen! Einen längeren Nachtrag, der nicht nur das Lukasevangelium, sondern alle charakterisiert, die über die Frohe Botschaft Jesu Christi sprechen:

Wenn die Wahrheit Gottes in die Welt kommt, dann ist nicht nur Freude und Bewunderung zu spüren, sondern dann macht sich auch Ablehnung und Spannung breit. Wenn Gott in die Welt eintritt und das Unheil, das in der Welt ist, heilen will, dann ist das – laut Evangelium – immer auch mit Spannungen behaftet.

Nachdem Jesus in Nazareth zum ersten Mal öffentlich aufgetreten ist – wir hören es heute im Evangelium –, kommt es nicht nur zu Begeisterung, weil er die Erfüllung der Hoffnung ist, sondern es kommt auch zu Ablehnung und Aggression, weil er ja auch die Wahrheit aufdeckt. Die Leute im Heimatort Nazareth reagieren auch ablehnend.

Der „Heimatort Nazareth“ wird zu einem Zeichen, dass zu viel „Heimat“ der Wahrheitsfindung nicht gut tut. Verschieden darf man das jetzt erklären bzw. interpretieren:

Jesus erfährt es in seinem Leben direkt: Die festgefahrenen Traditionen und Ordnungen des Judentums haben mit Jesus nichts mehr anfangen können. Er war ein Störenfried, obwohl der doch für einen Juden als Messias, also als Erfüllung der Hoffnung gekommen ist. Deshalb erntet er auch Ablehnung und musste später „als die Wahrheit“ ans Kreuz.

Gott und seine Wahrheit sind durchaus auch Störenfriede. 

Platon schon hat in seiner Philosophie festgestellt, dass, wenn ein ganz Gerechter auftritt und die Wahrheit sagt, der sicher in dieser Welt scheitern wird.

Wenn etwas sich auf die Wahrheit hinbewegt und am Ende zur Heilung führt, dann gibt das immer Spannungen. Zumindest sehr oft.

Schon in der Entwicklung der „menschlichen Psyche“ kann man das herauslesen: Wenn sich die Kinder von zuhause abnabeln, … wenn sie versuchen mit der Zeit die Wahrheit über sich selbst zu finden, ja sich selbst finden, ist das an einem „Los-lass-prozess“ zu spüren. Da darf man sagen, dass dies auch oft mit Spannungen verbunden ist. (mit der „Pubertät“)

Das darf man (vergleichend) mit so vielem in der Welt in Verbindung bringen: Im Kleinen und im Großen gibt es Spannungen auf dem „Weg mit Gott“, der uns mit der Wahrheit heilen will. In großen Gemeinschaften und Clans wird gerne die Wahrheit nicht gerne gesehen und verdrängt, wenn sie zunächst wehtut. Wir als Kirche sind als „Großclan“ auch in diesen Strudel geraten – was ja das Missbrauchsgutachten letzte Woche aufgedeckt hat. Es musste um der Wahrheit willen vieles angesprochen werden. 

Die „Wahrheit“ verlangt viel ab, damit es zu einer echten Heilung kommen kann. Natürlich darf dies auch auf unsere menschliche Seele selbst hin interpretiert werden. Vieles in der menschlichen Seele will zunächst nicht gleich aufgedeckt werden. Gott und seine aufdeckenden Prinzipien treffen immer auf Ablehnung. Die Berührung mit Gott und seiner Kraft kann auch vieles abverlangen. Im Evangelium heute hören wir, von der Witwe von Sarepta und vom Syrer Naaman. Jesus sagt, dass auch sie aufdecken können, dass wir uns gerne hinter dem „Heimatort Nazareth“ verbergen können/wollen: Nur „zu Vertrautes“, nur die eingefahrenen Traditionen, die nichts Neues mehr zulassen, nur die eigenen „schönen“ Erklärungen für mein Leben, …. also alles, was „mich einigeln“ lässt auf das „nur Meinige“ wird es mit der Wahrheit schwer haben. 

Doch am Ende wird Jesus „hindurchgehen“ und die Wahrheit am Ende auch siegen lassen. So wie es das heutige Evangelium schon für die Zukunft andeutet.