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Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig – Predigt zum 13. Sonntag im Jahreskreis

von Pfarrer Thomas Gruber.

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Aposteln:

Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig.

Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen. Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat.

Wer einen Propheten aufnimmt, weil es ein Prophet ist, wird den Lohn eines Propheten erhalten. Wer einen Gerechten aufnimmt, weil es ein Gerechter ist, wird den Lohn eines Gerechten erhalten. Und wer einem von diesen Kleinen auch nur einen Becher frisches Wasser zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist Amen, ich sage euch: Er wird gewiss nicht um seinen Lohn kommen.

Matthäus 10,37-42

Provokant steigen wir wieder in das Alltagsgeschäft des Glaubens ein, wenn man so sagen will! Kaum sind nun die Feste vorbei der Osterfestkreis mit den letzten großen Ereignissen Himmelfahrt, Pfingsten, Dreifaltigkeit, und Fronleichnam endete wieder wie immer als ein wahres Feiertagsfeuerwerk geht Jesus im Evangelium wieder sehr provokant ans Werk.

Kaum hat die grüne Zeit, also der kirchliche Alltag, wieder begonnen, werden wir schon wieder aufgescheucht:

Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig.

Matthäus 10,37

Muss denn Jesus gleich wieder so lospoltern?

Man hätte sich ja bei einem einfachen Sonntagsgottesdienst sehr wohl gefallen lassen, wenn er gesagt hätte: Wer sein Auto, wer sein Haus, wer sein Geld und wer seine Hobbys mehr liebt als Gott, der ist meiner nicht würdig. Aber warum muss er gleich die Elternliebe als Stolperstein echter Gläubigkeit herausheben, wo doch die Familie in unserer Gesellschaft eh so in der Krise ist? Warum muss Jesus denn gerade mit einem Vergleich aus der Familie provozieren, wo doch gerade die Familien nahezu als katholisches Artenschutzprogramm ganz oben auf der Tagesordnung im Glauben stehen? Was will Jesus damit bezwecken, wenn er gerade die Liebe zu den Eltern, die doch die fundamentalste ist, als „Antipodium“ (Gegenstück) zur Gottesliebe heraushebt?

Man ist ja schon fast dazu geneigt, Jesus selbst Einhalt in seiner Provokation zu gebieten, weil er da selbst die eigenen Gebote zu untergraben droht. Du sollst deinen Vater und Deine Mutter ehren (2. Mose 20,12) lautet doch das 4. Gebot schwarz auf weiß! Ein Gebot, mit dem doch gerade der Meister selbst sehr behutsam umgehen sollte, wenn man es in das 21. Jahrhundert hineinübersetzen will.

Liebe Schwestern und Brüder,
keine Angst! (Auch wenn Jesu etwas provokante Worte von der „Elternliebe“ fast ähnlich provokant von mir jetzt erwidert worden sind). Jesus will hier nicht das 4. Gebot still und heimlich aushebeln. Nein! Ihm geht es wieder um Grundsätzliches, und das eben passend zu Beginn des „Grünen Kirchenjahres“, das soeben begonnen hat: Die normale Zeit!

Jesus spricht diese eben provokanten Worte am Ende seiner Aussendungsrede zu den Aposteln, als wolle er sagen: „Wenn ihr, meine lieben Apostel, den Glauben in der Welt glaubwürdig und überzeugend verkünden wollt, dann ist es nicht gut, immer noch gedanklich „zu Hause zu sitzen“ bei Mama und Papa und von der schönen Kindheit zu träumen.

Aber Jesus hat nichts absolut gar nichts gegen die Elternliebe und ein gesundes Familienverhältnis. Klar stellt er sich nicht gegen die Elternliebe! Es geht ihm bei der Aussendung nur um die richtige Gewichtung.

Aber da ist er deutlich und provokant:
In einem ersten Gedanken kann man sicherlich an das Loslassen vom Elternhaus denken. Wie oft ist es schwer, loszulassen von den Kindern und wie schwer ist es, loszulassen von den Eltern, wenn die Zeit gekommen ist? Das ist durchaus ein Lebens- und damit ein Glaubensthema.

Doch für Jesus ist das noch nicht das eigentliche Thema. Ihm geht es um die richtige Gewichtung im gesamten Leben.

Denn wenn man im heutigen Evangelium weiter liest, merkt man, wie er das Ganze meint. Er wird da nämlich noch grundsätzlicher. Da muss man sich wirklich darauf einlassen.

Das Evangelium heute ist eine Aneinanderreihung wirklich großer Sätze. Der bedeutendste ist wohl der:

Wer sein Leben gewinnen will, der wird es verlieren, doch der der sein Leben um meinetwillen verliert wird es gewinnen.

Matthäus 10,39

Dieser Satz ist noch provokanter als der von der „Elternliebe“. Im griechischen Originaltext steht für „Leben“ das Wort „Psyche“, was ja auf Deutsch „Seele“ heißt. Jesus meint also: „Wer seine ‚Seele‘ gewinnen will“. Damit redet er – wie man so schön auf Deutsch sagt – „Tacheles“, also deutlicher geht es nicht mehr.

Es geht ihm um die Grundausrichtung unseres ganzen Lebens.
Im Evangelium, als er die Seinen selbstverantwortlich in die Welt hinaus schickt und wenn er auch zu uns heute spricht.

Er fragt: „Wie ist euer Herz, wie sind eure Grundeinstellungen ausgerichtet?“
Ausgehend von der Eltern und Familienliebe, die das Fundament unseres Herzen bildet, will er uns „auf den Glauben einstellen“.

Hängt euer Herz wirklich an mir?
Wollt ihr mir jetzt auch wirklich nachfolgen?
Wollt ihr meine echten Freunde sein?

Mit diesen Fragen sind wir jetzt mitten im Evangelium. Dort, wo uns ja Jesus auch haben will. Fast schon wie bei einer seelischen Generalüberholung, einer spirituellen Vorsorgeuntersuchung oder einer geistlichen Revisionsprüfung – ganz provokant gesagt – klopft er die Seinen und damit auch uns ab:

Woran hängt unser Herz?

Glaube heißt heute auch: unser Leben in einem großen Gesamtzusammenhang zu sehen:
Unser Leben gehört nicht uns selbst, auch wenn die „Selbstbestimmungsideologie“ der heutigen Tage uns das immer wieder vorschreibt, ja vorgaukelt. Das Leben gehört Gott, er ist Ursprung und Ziel, ihm bleiben wir bis zum Schluss immer verantwortlich. Jesus will uns mit dieser Grundausrichtung nicht entmündigen, sondern ein Fundament geben. Es werden die Menschen eher seelisch krank, wenn sie meinen, alleine nur für sich selbst durch diese Welt gehen zu müssen. Das sagen mittlerweile viele Ärzte. Damit bekommt der Satz „Wer sein Leben, also seine Seele gewinnen will, wird sie verlieren“ eine moderne, vor allem aktuelle Auslegung.

Liebe Schwestern und Brüder,
unser Leben ist Nachfolge und damit haben wir einen guten und sinnvollen Gesamtzusammenhang unseres Lebens. Selbst wenn es um das Kreuz geht also um Leid und Schmerz und all die Krisen des Lebens haben wir Sinn und Orientierung im Leben, weil Jesus diesen Weg unseres Lebens auch vorausgegangen ist. Deshalb sagt er heute:

Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig.

Matthäus 10,38

Alles Leid ist nicht mehr sinnlos, wenn wir zu Jesus gehören. Durch die Taufe (vgl. Römer 6) sind wir eingegliedert in diesen Gesamtzusammenhang Gottes (in das Kreuztragen und Auferstehen mit Jesus). Dann dürfen wir sicher sein: Unser Leben ist von Gott getragen. Wir haben die Kraft trotz Krisen. Wir können in der richtigen Verantwortung das Leben meistern. In der Hand Gottes können wir sicher sein: Die „Nachfolge“ verortet (platziert) unser Leben richtig. Die Gebote führen uns auf ein Ziel hin. Das Ziel ist Gott.

Elternliebe, etc. Gottes- und Nächstenliebe sind nicht umsonst.

Jesus sagt es einfach und klar:
Wenn wir unser Leben nach ihm hin ausgerichtet haben (wenn wir nach seinen Geboten leben), dann dürfen wir auch sicher sein: Es wird uns ein Lohn dafür bereitliegen, ein Lohn, der jenseits aller irdischen Güter liegt, ein Lohn, der uns von Gott geschenkt ist.

Und wir werden gewiss nicht um unseren Lohn kommen.

Matthäus 10,42b